Ein fulminanter Restart

Ein fulminanter Restart

Die Zufriedenheit stand allen ins Gesicht geschrieben: Den Machern der KuSch, weil die „Operation Neustart“ als komplett gelungen bezeichnet werden konnte. Dem Erfinder der Absolventenshow, Maik M. Paulsen, weil die Deutschland-Premiere seiner Show trotz widriger Probenbedingungen nahezu perfekt verlief. Und dem Publikum, weil es nach exakt fünf Monaten Tristesse in Herborns Kulturtempel endlich wieder Leben auf der Bühne sah.

Dort wirbelten neun hoch talentierte Menschen umher, allesamt frisch gebackene und geprüfte Absolventen der Staatlichen Artistenschule Berlin, die – wie seit 2014 in Herborn zu erleben – wieder eine spektakuläre Show im Gepäck hatten. Keine Nummern-Revue wie im Varieté, sondern ein durchchoreografiertes Spektakel aus Licht, Musik und vor allem großer artistischer Kunst. „Kontraste“ hatte Regissseur Karl-Heinz Helmschrot das Programm genannt und diesem Anspruch wurden die 100 Minuten auch voll gerecht.

Marie Schaarschmidt, extravagant am Aerial Dance Silk und anmutig am Lyra Pole, wusste ebenso zu überzeugen wie Adrian Grzymkowski, der alles andere als ein „klassischer Jongleur“ ist und vor allem mit seiner schwebenden Kugel verblüffte. Jasper Mauritius Deininger hängt an den Strapaten, doch das wäre wohl gewaltig untertrieben. Kraftvoll, aber reduziert zeigt er – teilweise sogar einarmig – verblüffende Tricks. Aerial Hoop und Luftring – hier ist Luzie Lou (alias Marschke) zuhause – und wie. Um sie muss man sich auf den Varieté-Bühnen dieser Welt wohl ebenso wenig Sorgen machen wie um Tim Höfel. Der „Charming Boy“ hat das BMX-Rad für sich entdeckt und bewegt dieses wie kaum ein anderer – den direkten Kontakt zum Publikum immer inklusive. Unscheinbar daherkommend, aber eine der Überraschungen der Show: Lenya Lev. Ihre Trapeznummer ist die perfekte Symbiose von Artistik, Musik und Choreografie. Ebenfalls Publikumslieblinge: das Duo Duo Kraoul, Karim El Nakib  und Raoul Rogula, aus Südhessen stammend, präsentieren Partnerakrobatik mit einem Augenzwinkern und blindem Verständnis. Und dann ist da noch Jannis Nau, der an den Spinning Sticks einen kraftvollen und zugleich eindrucksvollen Schlusspunkt der Show setzt.

Alles in allem ergaben sich so mehr als sehenswerte „Kontraste“, die das Publikum im ausverkauften, aber wegen der aktuellen Corona-Bedingungen leider nur zu einem Drittel bestuhlten Saal gleich dreimal zu stehenden Ovationen hinrissen.

Dass die Tournee 2020 trotz der dramatischen Einschränkungen wegen Covid-19 überhaupt in Herborn gestartet werden konnte, grenzte schon an ein kleines Wunder. Insgesamt neun Wochen Probenzeit fehlten dem Ensemble aufgrund eingeschränkter Trainingsmöglichkeiten, was aber kaum zu merken war. Statt rund 30 Spielorten in „normalen“ Jahren sind 2020 „nur“ zehn übrige geblieben. Diejenigen Locations, in denen die Show gastiert, können sich sicherlich auf ein Highlight im Jahresprogramm freuen. Und sie haben die Gewissheit, neun jungen und hochtalentierten Menschen beim Start ins Berufsleben einen entscheidenden Schritt ermöglicht zu haben. Kann es Schöneres geben?
(Alle Fotos: Gert Fabritius)

 

 

Gert Fabritius

Jörg Michael Simmer