Unbekannt, aber hoch aktuell

Unbekannt, aber hoch aktuell
„Fantasie ist nichts für Experten, die das Leben fürchten und den Tod“, so der Autor und Komponist Georg Kreisler. Er wollte nie nur ein „schwarzhumoriger Makabarettist“ sein. Seine Tochter Sandra Kreisler, die sich neben ihrem Projekt „Wortfront“ mit Hingabe dem Werk ihres Vaters widmet, zeigte in der Herborner Kulturscheune „KuSch“ bei der Präsentation ihres Soloprogramms „Kreisler singt Kreisler“, dass sie den Liedern der Ikone des literarischen Cabaret-Chansons die ihnen gebührende Brillanz, Brisanz und Rasanz zu geben versteht.“Ich will mich nicht mehr benehmen/Will mich nicht mehr bezähmen/Will auch nicht mehr im Verborgenen blüh’n/Von jetzt an spuck‘ ich aus, wo Spucken verboten ist/Lern‘ nur mehr das, was für Idioten ist/Ich hab‘ es satt, hab‘ die Nase voll/Ich will jetzt leben, wie man leben will und soll!“, singt die zweimalige „Schlumpeweck“-Gewinnerin mit satter, ausdrucksstarker warmer Stimme und trifft schon zu Beginn ihres Konzertes mit weniger bekannten Liedern von Georg Kreisler den Nerv ihres Publikums.Sandra Kreisler, mit virtuosem und einfühlsamen Klang am Klavier begleitet von Andreas Kohl, erweist sich als ideale Vermittlerin der scharfzüngigen, bissigen, aber auch leichtfüßigen und skurrilen Gedanken ihres Vaters. Ob Sündenlieder, Wiegenlieder oder Liebeslieder, stets trifft sie bei den im klassischen Stil des Cabaret-Chansons gehaltenen Liedern ihres Vaters den richtigen Ton. Der Gegenwart und der Zukunft verpflichtet und letztlich die Vergangenheit hinter sich lassend, haucht Sandra Kreisler hingebungsvoll den Liedern und Versen Georg Kreislers neues, hochaktuelles Leben ein. „Und wenn’s nicht wahr ist, dann ist’s erfunden“: Sandra Kreisler nimmt sich die Freiheit, das eigene Ich zwischen Traum und Wirklichkeit erleben zu wollen, und sei es nur in der Kneipe nebenan. Freiheit ist die Kneipe nebenan, „wo man die grausame Zeit verbringt, Liebe sucht, Bierchen trinkt, bis man sich frei fühlen kann.“ Und wenn sie singt „Ich hab ka Lust, mit dir in Urlaub zu gehen/Ich hab ka Lust, in deine Seele zu sehen“, dann bekommt die Freiheit auch in sehr persönlichen Dingen ihr Recht.

Sandra Kreisler philosophiert und räsoniert, erkennt, dass das Wort allein nicht ausreicht, um das komplizierte Leben wirklich zu verstehen, und fragt mit den Worten von Georg Kreisler: „Es hat keinen Sinn mehr Lieder zu machen, statt die Verantwortlichen niederzumachen.“

Trotz aller Scharfzüngigkeit und der Auseinandersetzung mit kafkaesken Mächten wahrt ihre musikalische Gratwanderung zwischen Wortwitz und Wahrheit, zwischen Zeitkritik, schonungsloser Wahrheit und Zärtlichkeit, zwischen Poesie und Polemik, perfekt die Balance. Hochmusikalisch ist dabei die Mischung aus Jazz, Klassik und Musikdrama im Stil eines Kurt Weill.

Mit Hingabe ist Sandra Kreisler bei der Sache. Sie singt nicht nur die Chansons ihres Vaters aus den Jahren 1960 bis 2000, sie lebt sie auch. In Stücken wie „Der Mensch ist gut“ präsentiert sie hörenswert gut das außergewöhnliche gesellschaftskritische, pointierende Talent des Vaters, der sich auch vorzüglich auf humoristische Reime verstand, wie in „Mein Mann will mich verlassen – Gott sei Dank.“

Am Ende war noch lange nicht Schluss. Mit mehreren Zugaben, darunter der „Opern-Boogie“, der alle Aspekte auf, hinter und vor der Bühne wiedergibt, entlässt sie ein bestens aufgewärmtes Publikum in eine frostige Februar-Nacht.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher