Melodiöse Songs und klare Kante

Melodiöse Songs und klare Kante

Nein, es waren nicht die Besucher, für die Lars Reichow in der KuSch sein „Wunschkonzert“ parat hielt. Vielmehr hatte der Mainzer Musikkabarettist für sein Best-Of-Programm eine Auswahl seiner persönlichen Favoriten vorbereitet. Doch es wurde beim Herborner Auftritt schnell klar: An klaren Worten zur Lage der Nation und den Missständen dieser mangelt es dem bekennenden Rheinhessen und Fastnachter keineswegs. Über seine Heimatstadt Mainz („Die reichste Stadt der Welt“) weiß er zu berichten, dass die Biontech-Milliarden jetzt unter anderem dazu verwendet werden, „Wiesbaden zu kaufen“ und künftig „Verkleidungspauschalen für die Fastnacht in Höhe von 30.000 Euro pro Familie“ zu zahlen.

„Es ist zum Heulen“, konstatiert „Klaviator“ Reichow die allgemeine Lage. Womit er neben Krieg und Krisen auch das bayerische Wahlergebnis meint. Hubert Aiwangers Flugblatt-Schlamassel („Der ist doch zwischen zwei Orks unter Tage groß geworden“) sowie Söders Schaukampf gegen die Grünen als „Staatsfeind Nr. 1“, dessen Stelle doch seiner Meinung nach eigentlich der AfD zugestanden hätte, stehen ganz oben auf der Reichow-Mängelliste. Und für Letztere findet er deutlichste Worte: Es sei eine „nutzlose, extremistische Partei“, einfach „ein Haufen ungehobelter Arschlöcher“. Eine Aussage, die bereits in der Fernsehsendung „Mainz bleibt Mainz“ für Aufsehen und anschließende, allerdings erfolglose Klagen der Partei gesorgt hatte.

Zu Kanzler Olaf Scholz („Ein hanseatischer Kleiderbügel“) fällt auch dem Kabarettisten nur wenig ein, denn „der regiert erst, wenn das Zögern voll ausgeschöpft ist.“ Und gibt es denn eigentlich „die“ ideale Regierung? Am liebsten wäre ihm ein Team aus „Genies und Ausnahmetalenten“. Klarer Verstand, klare Reden, keine Endlos-Diskussionen, keine „faulen Kompromisse“, wie er es besingt. Auf der anderen Seite hat auch der Kabarettist ab und an den „Deutschland Blues“. Reichow reimt treffend: „Hey Deutschland, du bist dran – fang‘ doch wieder mal was an. Was ist los mit diesem Land? Wir ham‘s doch selber in der Hand!“

Ist die Alternative gar eine Königin? Der Blick nach Großbritannien lässt nichts Gutes erahnen. Die missliche Lage der „einsamen Insel“ ist sicher kein Vorbild. Das Land wird aus einem Reihenhaus regiert (Downing Street 10), hatte zuletzt mit „Trüffelschweinchen“ Boris Johnson einen sehr speziellen Ministerpräsidenten – und da sind die vier Kinder der Queen noch gar nicht erwähnt. Andrew („His royal perverseness“), Edward („Der spielt Tischtennis im Keller“), Anne („Sie ist sechsmal geschieden und lebt nun mit einem Pferd zusammen“) sowie Charles („Der wird nie Queen!“). Von den Corgis („Stelzen mit Roulade“) ganz zu schweigen.

Da bleibt dann nur der Rückzug ins Private sowie der Blick auf die Familie. Auf seine Erfahrungen in der Kfz-Zulassungsstelle etwa und was er als stolzer Besitzer einer „Q-Card“ anstellt. Auf die langen und immer noch geruchsintensiven Füße des Sohnes, die auf einer Urlaubsreise im Wohnmobil („Ein Jugendzimmer mit Kochplatte“) nach Norwegen besonders prägnant waren – irgendwo zwischen Alkoven, Elch und Campingtoilette.

Oder es geht um den Wunsch der Verherrlichung durch Frau und Kind, wenn er im goldenen Mantel die Treppe zum Frühstück herabschwebt und gerne mit Applaus empfangen werden will. Denn: „Mann braucht ja auch mal etwas Lob!“

All das reichert der „Klaviator“ mit Liedern an, die zum Teil herrlich melodiös den Herbst, technische Errungenschaften oder natürlich die Liebe zum Thema haben. Und da schimmert er dann doch leicht durch – der Optimismus des begnadeten Musikers Lars Reichow gegenüber dem schonungslosen Kabarettisten. Irgendwie tröstlich!

 

 

 

Gert Fabritius