Traumziel „Madagascar Sunset Residence“

Traumziel „Madagascar Sunset Residence“

Die Zukunft verheißt nichts Gutes, glaubt man den Vorstellungen des auf spritzige Boulevard-Komödien geeichten Autorenteam Holger Heix und Cornelia Glade-Wolter, die in ihrem neuen Stück „Madagascar Sunset Residence“, das am Freitagabend in der KuSch Premiere hatte, dem Verwertungsprozess älterer Menschen in der Zukunft mit beängstigender Unverblümtheit und skurriler Boshaftigkeit auf der Spur sind. Statt Wertschätzung von Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt, geht es hier nur noch um die Schätzung des menschlichen Wertes in ihrer altersbedingten Restlaufzeit, wie Holger Heix und Larissa Busik in ihrem drastischen Prolog ausführen:“ Ab 50 wird der Mensch praktisch zu einem Verlustgeschäft.“

Einen gewinnbringende, nachdenklich stimmenden Theaterabend, bei dem am Ende dennoch die Kurve in Richtung sonnig stimmende Hoffnung gedreht wurde, erwartete das Publikum, das sich so schon einmal auf die schöne neue Welt in den Alten- und Pflegeheimen einstellen konnte. Personalnotstand, Medikamentenknappheit und das Profitstreben von Heimbetreibern, die das Humankapital wenig human ausschöpfen, sind jetzt schon bittrere Realität. Auf der Bühne wird eine nahe Zukunft beschrieben, in der der Mensch als Versuchskaninchen für Lebensmittel- und Pharmaindustrie und als Ersatzteillage für noch verwertbare Körperorgane herhalten muss.
Acht Menschen, deren Social Credits aufgebraucht und ihre Lebensentwürfe in Trümmern liegen, finden sich in einem Modellprogramm der europäischen Union für „Best Ager“ wieder. Kränklich und desillusioniert geraten die höchst unterschiedlichen Charaktere in die Fänge einer auf Gewinn ausgerichtetes Unternehmen, repräsentiert von einer eiskalten CEO, überzeugend gespielt von Larissa Busik. Sie wiederum baut auf ein Personal, das angeführt von der von jeglichem Einfühlungsvermögen befreiten Annika (Svenja Kugler) und den Pflegekräften Julia (Lisa Lautz), Anna (Jeanette Kretzer) und Masha (Britta Schauerte), die alle eine kriminelle Vergangenheit aufweisen. Ein Szenario also, das wenig Anlass zur Freude bietet; weder für Heimbewohner noch fürs Publikum.

Doch was wäre das Theater für ein Platz, wenn es selbst den ausweglosesten Situationen nicht ein Licht am Horizont eröffnen würde. Bernd (Michael Krüger), bei dem es im körperlichen Gebälk mächtig knirscht, wird mit dem Los des ausgemusterten Oberstaatsanwalts Harald (Thomas Schlabach) konfrontiert, der auch telefonisch nicht mehr den Weg nach draußen findet. Hinzu kommen die demente Lotte (Christiane Krüger), die mit Zauberstab und Tütü ihr vormaliges Leben in Schüttelreinen reflektier(„Kipp , klapp, der Lack ist ab“), die ehemalige Schauspielerin Mona ( Susanne Schlabach), die verwitwete, mittellose Maureen (Cornelia Glade-Wolter ) und der frühere Pornodarsteller Erik (Heinz Zehner). Komplettiert wird die Seniorenrunde schließlich durch das Apotheker-Ehepaar Sigrid (Eva Schauwecker) und Jost (Albert Follert).
So unterschiedlich wie ihre Charaktere auch sind – von fatalistischer Ergebenheit bis hin zu kratzbürstigem Widerstandwillen – eint sie doch das Bemühen, Möglichkeiten zu finden, sich aus ihrem entwürdigenden Schicksal zu befreien.

Mit einem aus verschiedenen Potenzmitteln, die Erik aus seinem früheren Leben übrig hatte, braut Jost ein Elixier, das nicht nur ihre Stimmung aufhellt, sondern sich auch für zahlungskräftige Nutzer in Luxus-Ressort anbietet. Für die Vermarktung gewinnen sie das Personal und sogar die Heimleiterin, die erkennt, dass auch sie nur eine jederzeit ersetzbare Schraube im Getriebe der Ausbeutung des Humankapitals. Am Ende ist der Weg frei für die Flucht aus dem „Scheiß-Gulag“, wie Sigrid erklärt, die sich zuvor schon aus dem Staub gemacht hat.
„Madagascar Sunset Residence“, ein Traum, der förmlich nach Erfüllung ruft. Auf der Kusch-Bühne wird er wahr. Die Liebe, das Vertrauen in die eigene Kraft und das Aufbegehren gegen Fremdbestimmung und Entmündigung, feiert in dem neuen Stück des Autorenteams Heix und Glade-Wolter, ausgezeichnet gespielt und gelebt von allen Akteuren, eine sehenswerte Würdigung.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher