Zwischen Bellizismus und Pandemie

Zwischen Bellizismus und Pandemie

(m). Er ist zwei Meter groß und der Begriff des „kabarettistischen Urgesteins“ müsste für ihn erfunden werden, wenn es ihn nicht schon gäbe. Arnulf Rating, der Letzte der „3 Tornados“, einer in den 70-ern gegründeten Spaß-Guerilla-Truppe, ist seit mehreren Jahrzehnten scharfzüngiger Beobachter der Politik-Landschaft. Und bei der Bewertung des „Zirkus Berlin“, so sein aktueller Programmtitel, nahm er in der Herborner KulturScheune kein Blatt vor den Mund. Sich an den Schlagzeilen der Tagespresse entlang hangelnd, geriet die über 120-minütige Politschau zu einem politischen Parforceritt, wo bei so manchem „Tagesschauer“ dem Publikum das Lachen im Halse stecken blieb.

Ratings Themenschwerpunkte waren dabei ganz klar: Deutschland befindet sich seit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Bellizismus und die Pandemie ist auch noch nicht verarbeitet. Wobei – um es mit den Worten des Künstlers zu sagen: „Das kann sich ausweiten, das kann pandemisch werden! Wo ist das RKI, wann wird der länderübergreifende Lockdown beschlossen? Bleibt zuhause! Krieg gefährdet die Gesundheit, es ist hochansteckend, wir haben Studien: Der letzte Krieg in Europa, ausgelöst von Deutschland, hatte weltweit fast 60 Millionen Tote zur Folge. Eine solche Situation würde unsere Intensivstationen erheblich belasten, notwendige Operationen müssten verschoben werden. Weltweiter Lockdown für alle gewaltbereiten Kämpfer!“ Deutschland ist schnell – von 80 Millionen Epidemiologen zu 80 Millionen Militärexperten, das ging im Handumdrehen.

Der Initiator des „Maulhelden“-Festivals und Macher des „Politischen Aschermittwochs“ in Berlin haut in seinem Programm die großen und kleinen Pointen nur so raus. Beispiele gefällig? „Warum soll ich FDP wählen? Die gelben Säcke werden doch mittwochs abgeholt!“ Oder in Richtung Union: „200 Arten sterben am Tag, nur Friedrich Merz hat überlebt.“

Hart geht Rating mit den „Kardinalverbreche(r)n der Katholischen Kirche ins Gericht: „Kirche von unten kommt gegen die Kirche von hinten nicht an!“ Die papierlose Generation von heute („Wie kommen die auf dem Klo zurecht?“) bekommt ebenso ihr Fett weg wie seine Wahlheimat Berlin mitsamt ihrer vielen Pannen bei den Wahlen: „Wir haben in einigen Wahllokalen 150 Prozent Wahlbeteiligung erreicht, das ist doch grandios, das hat es nicht mal unter Erich Honecker gegeben. Ganz großartig, Die Leute waren begeistert dabei, die Wahlzettel sind ausgegangen. Ich habe selber drei Stunden vor einem Lokal gestanden, um meine Stimme abzugeben. Ich habe noch nie so lang vor einem Lokal gestanden, wo es keine Getränke gibt.“

Doch der Erfinder des „Blauen Montags“ in Berlin kann auch philosophischer: „Psychologie nach Freud bedeutet: Wenn jemand ne Schraube locker hat, dann liegt es an der Mutter!“ Und er weiß: „Angeln ist der einzige Sport, bei dem man den unterlegenen Gegner aufessen kann!“

Spricht’s und lässt an diesem Abend einige Figuren erscheinen, darunter natürlich auch die inzwischen Kult gewordene Schwester Hedwig, der er vor einigen Jahren bereits ein komplettes Programm gewidmet hat. Und am Ende eines atemlosen Rundumschlages durch die vielen Apokalypsen unserer wenig friedlichen Welt beschäftigt ihn doch eine allzu menschliche Frage: „Es wurden vor kurzem Plastikrückstände im menschlichen Stuhl gefunden – jetzt müssen wir also demnächst alle in den gelben Sack kacken!“

 

 

Gert Fabritius