Scharfzüngiges Ensemble-Kabarett

Scharfzüngiges Ensemble-Kabarett
Der CDU-Hinterbänkler Hein Güdderath wird von zwei sogenannten Normalos als Geisel im Materialraum des Bundestags festgehalten. Man will damit ein Zeichen setzen gegen die Selbstbedienungsmentalität eines Systems, das den „kleinen Leuten“ die Zeche für ihr Versagen aufbürdet: In einer temporeichen Revue mit Musik und allerlei Maskerade lieferte das Berliner Kabarett-Theater „Distel“ in der erstmals wieder fast vollbesetzen Herborner „KuSch“ einen Rundumschlag auf das ab, was die Republik und die Weltlage – nicht zuletzt angesichts des Krieges in der Ukraine – an Krisen und Katastrophen bereithält.Dass sich das Kabarett unserer Tage zunehmend nur noch als moralische Instanz versteht, geht auch an den Akteuren der „Distel“ nicht spurlos vorbei. Dennoch zeigen sich Nancy Spiller, Sebastian Wirnitzer und Distel-Urgestein Stefan Martin Müller in ihrem komischen und auch scharfzüngigen Programm als aufrechte Wächter von Recht und Gerechtigkeit. Begleitet von Matthias Lauschus (Drums, Gitarre) und Fred Symann (Keyboards), die sich auch aktiv ins Kabarett-Geschehen einklinken, zeigen Nancy Spiller als Entführerin mit dem Tarnnamen „Kleinmachnow“ und Sebastian Wirnitzer als „Bad Langensalza“, wie schwer es ist, Aufmerksamkeit für ihre Forderungen zu erlangen, wenn ihre Geisel kein großes Interesse bei den Institutionen – bis hin zur automatischen Ansage des Verfassungsschutzes – weckt.

Und für Heinz Güdderath, gespielt von Stefan Müller, mit dem typischen Duktus eines Abgeordneten, der sich in jahrelanger Tätigkeit für die Milchwirtschaft verschlissen hat, bleibt denn auch die Hoffnung unerfüllt, als erster entführter Bundestagsabgeordneter ganz groß in Talkshows und dergleichen rauszukommen.

Zu Melodien von bekannten Hits aus dem Rock-, Funk- und Hip-Hop-Repertoire singt und tanzt man mit viel Spielwitz an – sowohl gegen den Pflegenotstand, dem vergeblichen Versuch, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen, als auch gegen die Rolle der Religionen, die vorgeben, den richtigen Weg im irdischen Leben zu kennen, während sie letztlich doch nur auf das Jenseits vertrösten.

Politiker wie Olaf Scholz oder Christian Lindner bekommen ihr Fett weg. Während der eine sich zuerst als Schlafmütze outet, um sich dann als großer Aufrüster zu präsentieren, zeigt der andere, wie es gelingt, sich bei allen wichtigen Entscheidungen gegen die Mehrheit durchzusetzen.

Vorgeführt wurde neben der AfD und der CDU auch die SPD, die von Rosa Luxemburg, die mit einem Segway-Roller auf die Bühne schwebt, an ihre Rolle als Sachwalter für Freiheit, soziale Gerechtigkeit und Mitmenschlichkeit erinnert werden muss, die allesamt längst auf der Intensivstation dahinsiechen.

Spiller und Wirnitzer als Ulla und Silvio müssen als klassische Mitläufer und Hysteriker beim Thema Flüchtlinge lernen, ihre Emotionen unter Kontrolle zu halten.

Und die Ampel-Koalition kommt als Schnäppchenjäger in Sachen Umweltschutz groß raus, wenn die Kohleförderung und die Kohlekraftwerke mit E-Baggern und Biogas-Toiletten ausgerüstet werden.

Zwischen schmissigen Liedern und unter den Nägeln brennenden Themen beschäftigten sich die „Distel“-Akteure auch mit etliche Neben-Schau- beziehungsweise Showplätzen, etwa mit Heidi Klums Catwalk, auf dem sich ein ungelenker Anton Hofreiter bewegen soll, oder die Rolle der Frau im Umgang mit dem Lieblingsspielzeug des Mannes, dem Auto, auf dem sie sich lustvoll-lasziv zu räkeln hat.

Am Ende heißt es für uns alle: „The Show Must Go On“. Wie wär es da mal mit einer Revolution. Das Publikum in der Kulturscheune hob dafür den Daumen nach oben.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher