Wenn Worte reden könnten

Wenn Worte reden könnten
In diesem Jahr dürfte es eng im Wettbewerb um die Trophäen des Herborner Kleinkunstpreises „Schlumpeweck“: Am zweiten Wettbewerbsabend stiegen zwei weitere Hochkaräter in den Wettbewerb ein: Poetry-Slam-NRW-Meisterin Sandra Da Vina und Bernard Paschke als eines der jüngsten Gesichter des deutschen Kabaretts.Am Anfang war ein großes Palaver: „Bin ich klug? Bin ich beliebt? Ja! Ja!“ Sandra Da Vina, die zu Beginn ihre Zeit mit Bekenntnissen vergeudet, deren es nicht bedarf, um sie zu mögen, will in ihrem Programm „Da Vina takes it all“ wahrhaft alles. „Ich bin ein Fahrrad mit Stützrädern. Man kann mich leicht fahren“, bekennt die Essenerin, die sich zunächst am Thema „Freundschaft“ festbeißt: „Freundschaft ist die Familie, die man sich selber aussucht.“Erst mit ihrer Reportage über den „Social Worldcup“ in Herborn erreicht Da Vina ihre Betriebstemperatur, trifft ihre Sprache den Nerv des Publikums, werden ihre Worte zu Botschaften an das Gute und Schöne im menschlichen Zusammenleben. Wie die Sprache in die Welt gekommen ist, die uns verbindet, tröstet und zum Lachen bringt, das erklärt sie sympathisch-verschmitzt. Sie schichtet ihre Erinnerungen an ihr Leben mit zarter Poesie und herzhaftem Humor auf und zeigt, wie man mit Selbstironie den Alltag bewältigt.Über den Umgang mit den ideellen und praktischen Requisiten des Lebens kommt Sandra Da Vina zum Kinderkriegen und den Sandkastenspielen ihrer Tochter.

Da wird gebuddelt und viel Dreck geworfen, bis man am anderen Ende der Welt wieder herauskommt. „Dreck reinigt den Magen. Der Sandkasten ist das Iberogast des kleinen Mannes“, erklärt sie und definiert ganz nebenbei die Rolle der Frau in der Gesellschaft, und wie weit es mit der Gleichberechtigung schon oder noch nicht gekommen ist.

Am Ende hatte Sandra Da Vina 7623 Worte gesprochen, mit denen sie der Hoffnung Ausdruck verlieh, sich und die Welt besser zu verstehen. Das Publikum war am Ende ganz schön geschafft von ihren Gedanken in rasend schnellem Tempo. Ebenfalls nicht um die richtigen Worte verlegen ist der Leipziger Jung-Kabarettist Bernard Paschke, der als Zeitungsjunge die vom Aussterben bedrohte Textzeitung auf die Bühne bringt. „In dieser Welt ist jeden Augenblick irgendetwas los“, erklärt er, zwischen analog und digital, zwischen Spaß und Ernst, zwischen Kabarett, Gesang und Schauspiel changierend.

Mit der verstörenden Aussicht bestraft, nur noch zwischen Pest und Cholera wählen zu können, lässt er am heutigen Personal in Politik und Gesellschaft kein gutes Haar. Es gibt keine Ideale mehr, und die großen Idealisten scheinen ausgestorben zu sein: „Wer von den Jüngeren kennt noch Petra Kelly? Sie halten sie für ein Mitglied der Kelly-Family“, sagt Bernard Paschke, der sich in seinen Oden an die Ödnis mit beredeter Zunge und „Rap-ortagen“ in Rage redet und singt.

Umwelt, Klima, Überwachung, Emanzipation und Diversität sind dem Kabarettisten druckfrische Nachrichten wert – und ist dabei ironisch, witzig und urkomisch. So hat das klassische Ampelmännchen ausgedient. Stattdessen regeln Frauen und bald wohl auch schwule Pärchen immer öfter den Verkehr. Bernard Paschkes Panoptikum des Lebens, das wahrhaftig kein „Ponyschlecken“ ist, ist kunterbunt, schrill, deftig und gewürzt mit Erkenntnissen aus der Sicht eines Rheinländers, Hanseaten und eines Bayern. Ein abenteuerliches Live-Erlebnis, das locker über jede Bezahlschranke klettert.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher