Die Pandemie der zunehmenden Dummheit

Die Pandemie der zunehmenden Dummheit
„In hoffnungslosen Zeiten ist es wichtig, dass jemand auf der Bühne steht und sagt, besser wird es nicht.“ Das hat ein streitlustiger Christoph Sieber einem erwartungsfrohen Publikum in der Herborner „KulturScheune“ verkündet. Sieber – nach eigener Aussage froh, endlich wieder vor der „Crème da la Crème der deutschen Kabarettzuschauer“ auftreten zu können – ließ keine Zweifel an seiner Aufrichtigkeit, stets Mensch zu bleiben und für unbedingte Menschlichkeit zu kämpfen. In „Mensch bleiben“, seinem mittlerweile sechsten Soloprogramm, fuhr er erneut das auf, was ihn ausmacht: Den schonungslosen, satirischen Blick auf Politik, Kunst und Gesellschaft. „Ich mach was zu Corona, dann wenden wir uns den schönen Dingen des Lebens zu“, lässt sich der Kabarettist vernehmen, der überwiegend die Maßnahmen der Regierung teilt, es aber dem Virus nicht verzeiht, dass er sich gleichzeitig in eine Pandemie der zunehmenden Dummheit verstrickt sieht.
„Wir leben in einer Zeit der Veränderung, und das wollen viele nicht wahrhaben“, sagt Sieber, der hinter all den Usern, Zuschauern, Politikern, Migranten und Deutschen immer seltener den Menschen sieht. Da kollidiert der Gedanke an das Gute im Menschen mit dem Zweifel an der eigenen Richtigkeit des Denkens. „Im Zweifel für den Zweifel“ entscheidet sich der Kabarettist und Mensch Sieber, der konstatiert, dass der Zweifel über alles Wissen erhaben ist.
„Die Erde ist eine Scheibe, und in der Mitte ist ein Loch, und wir werden von außerirdischen Echsen regiert“, da denkt auch ein Christoph Sieber daran, sich vielleicht ganz ins Private zurückzuziehen und das „Goldene Blatt“ zu lesen. Doch letztlich überkommt es ihn doch, seine Stimme gegen die Ungerechtigkeit in der Welt zu erheben und den da oben den Kampf anzusagen.
Wir haben ein Grundgesetz, das immer noch für die Gleichheit aller steht. Doch was ist, wenn sie in der modernen Welt immer mehr zum Lotteriespiel wird, wenn die menschliche Dummheit beginnt, immer mehr die eigene Meinung vernebelt: „App, App, fertig ist der Depp.“
Mit drei Bällen jongliert sich Christoph Sieber durch die Lage der Nation und durchs Dickicht der digitalen Medien, die uns kontrollieren und lenken. „Es braucht wieder mehr Gedankenfreiheit“, befindet der schelmische Satiriker und Spötter, der ein Feuerwerk aus Gesang, Showtanz und bitterbösen Versen in der „KuSch“ zündet. Dabei bekennt er, lieber faul zu sein, als immer müde, doch das Nichtstun ist abartig, schließlich ist man in unserem Land ohne Arbeit nichts. „Was kümmert es die Menschen, dass das Ende der Welt bevorsteht, wenn am Monatsende das Geld zum Leben fehlt.“
Angst ist kein guter Berater, um sich durchs Leben zu hangeln. Der Angst vor Corona, vor Terror oder vor Einbrechern, die statistisch gesehen bei uns alle 270 Jahre einmal vorbeischauen, setzt Sieber mehr Gelassenheit entgegen –auch mal ohne Handy-Empfang. Als bekennender Rastafari singt er ein Lob auf das Grundgesetz und nicht auf das Infektionsschutzgesetz. Dabei ist der Rundumschlag Siebers auf die schöne neue Welt, die nicht mehr auf Werte, sondern nur noch auf Bewertung von Waren und Dienstleistungen setzt, höchst infektiös..
Und schlechte Bewertungen bekommt auch die Demokratie. Autokratie ist angesagt: „Ich bin für die gute, alte Diktatur mit humaner Folter.“ Und auch zum Glauben haben die Menschen zurückgefunden. „Ich glaube nicht an Gott, und er weiß es“, so Sieber, der davon ausgeht, dass im Paradies keine paradiesischen Zustände herrschen, wo sich nur Deppen und Despoten tummeln: „Die Guten kommen in die Hölle, die haben ja keine Autobahnen gebaut. Wenn Allah oder Gott wüssten, was in ihrem Name passiert, wären sie längst aus der Kirche ausgetreten“, meint Sieber, der darum befindet, dass es sich immer lohnt, für die Gerechtigkeit zu kämpfen. Das Leben ist unzumutbar, aber mit Christoph Sieber lässt sich diese Zumutung vorzüglich ertragen.

 

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher