Und ganz plötzlich knistert es heftig im Saal

Und ganz plötzlich knistert es heftig im Saal

Es war kurz vor 22 Uhr, als es in der Herborner Kulturscheune plötzlich mucksmäuschenstill wurde: „Irgendwo auf der Welt“, die Sehnsuchtsballade von Werner Richard Heymann erklang.

Gesungen vom holländischen Entertainer Robert Kreis. Und viele der über 200 Besucher spürten, dass der Liedtext, geschrieben vor knapp 100 Jahren aus Anlass der massenhaften jüdischen Emigration aus NS-Deutschland, plötzlich aktueller denn je zu sein scheint. Es war dies der Gänsehaut-Moment eines Abends, reich an Bonmots, verschmitztem jüdischen Humor und wiederentdeckten musikalischen Schätzchen aus Zeiten der Weimarer Republik. Alles zusammengeführt und präsentiert von Robert Kreis, dessen Leben sicherlich reich an „Highlights“ (so der offizielle Programmtitel) ist.

Seit 1974 steht der zwischen Den Haag und Berlin pendelnde und in Indonesien geborene Grandseigneur des Musikkabaretts auf der Bühne, hat seitdem mehr als 7.500 Auftritte absolviert und hat dabei mit Showgrößen wie Marcello Mastroianni, Peter Ustinov, Hildegard Knef oder Gina Lollobrigida auf der Bühne und hat im Laufe der Jahre bereits viele Kollegen Kommen und Gehen gesehen.

Er ist immer noch da – und wie. Aufgeräumt, verschmitzt und voller Energie präsentierte sich der 70-Jährige dem KuSch-Publikum, frei nach dem Motto „Mir geht’s gut, Gott sei Dank. Hab‘ ein Konto auf der Bank!“ Doch des Geldes wegen ist der Holländer nicht auf den deutschsprachigen Bühnen unterwegs, er hat eine Mission. Der Flohmarkt-Fan und Schellack-Platten-Sammler (unnachahmlich: sein „Lied der zerbrochenen Schallplatte“), der auch privat die Zwanziger Jahre lebt, taucht in diese Zeit ein, wie in das Atlantis vergangener Tage.

„Wissen se“, so nimmt er das Publikum stets mit in seine Gedankenwelt und fragt sich beiläufig: „Wo sind die Politiker früherer Zeiten mit ihrer Präsenz hin? Beim Blick nach Europa bekommt man Tinnitus auf den Augen!“ Sein „Lachfoxtrott“ hat bereits Kultstatus und darf in keiner aktuellen Berlin- und Zwanziger-Revue fehlen.

Robert Kreis‘ Humor – der wird spätestens dann deutlich, wenn er aus der Zeitschrift „Lustige Blätter“ zitiert und dann zu Inschriften Berliner Gräber kommt: „Ihr Leben lang hat se Staub gewischt, nun isse selber weiter nischt!“

Couplets wie „Der Blusenknopf“ von Otto Reutter lassen das Publikum lachen und staunen – über eine feinsinnige und schöne Sprache, wie sie vor 100 Jahren in der deutschen Vortragskunst vorhanden war. Und zur Not dürfen es auch Witze oder kleine Bonmots sein: „Warum findet ein Henker nie nach Hause? Er kennt nur die Hinrichtung!“

Und als am Ende ein Schlager-(Kom-)Potpourri aus den Zwanzigern steht, in dem es unter anderem heißt „Pump‘ mir dein Gesicht, ich will die Großmama erschrecken“, da ist nicht nur beim stehend applaudierenden Publikum die Gewissheit da: Die Zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts – eine wahrhaft goldene Zeit.

Gert Fabritius

Jörg Michael Simmer