Es ist ein ungewöhnliches Bühnenprogramm, dass Kabarettist Jürgen Becker aktuell seinen Fans bietet. „Geschichte in Scheiben“ (aus Vinyl) bringt der Kölner seinem Publikum mit „Deine Disco“ näher und analysiert dabei den Soundtrack seines im Schnitt etwas älteren Publikums – zwischen Heintje und (Jimi) Hendrix. Am Ende zweier hoch unterhaltsamer Stunden mit hohem Mitsingfaktor ist klar: Musik ist Heimat und verbindet Menschen. Songs sind der Soundtrack unseres Lebens, sie wecken Emotionen, sind treue Begleiter in guten wie in schlechten Zeiten. Politisch betrachtet gilt die Kurzform: „Ohne Groove kein Move!“
Jürgen Becker hat für sein Programm, das nur vermeintlich wie eine Abkehr vom Politkabarett wirkt, ein Jahr lang recherchiert, hat am Plattenspieler gesessen und entdeckt, wie eng eigentlich unsere Geschichte und politische Ereignisse mit Musik verzahnt sind.
Im Spannungsfeld zwischen Pink Floyd und Rex Gildo, zwischen dem ersten Disco-Groove im Mutterleib und dem lauten, aber nicht hörenswerten Wiedervereinigungsschrei von David Haselhoff („I’ve been looking for freedom“) bewegt sich der Kabarettist. Die Kraft der Musik ist klar erkennbar, immerhin soll Haselhoff ja die deutsch-deutsche Mauer zum Einsturz gebracht haben oder war es doch die Nummer eins der westdeutschen Charts im November 1989 – „Klingelingeling, klingelingeling, hier kommt der Eiermann“ von Klaus und Klaus?
Fakt ist: Politische Bewegungen brauchen einen Soundtrack – für Jürgen Becker ist es also klar, warum die Bewegung „Fridays for Future“ nicht vorankommt, da fehlt einfach was. Doch wenn der Kabarettist am DJ-Pult mit Steuerknüppel von Clip zu Clip springt und das Publikum wie einst James Last im Happy Sound der eigenen Jugend zum Mitsingen bringt, dann darf man auch seine Pointen nicht überhören, die es in sich haben.
Ob „Hoch auf dem gelben Wagen“ das richtige Signal in diesen Zeiten ist, Becker glaubt es nicht: Immer nur zu lachen, immer weiter rollt der Wagen, bei dem es sich auch um ein DHL-Auto mit einem unterbezahlten Paketboten handeln könnte. Das Wort Work-Life-Balance jedenfalls kommt nicht im Text vor.
Bekannte Hits boten ihm Gelegenheit zu speziellen Erkenntnissen: Die DDR-Nationalhymne „Auferstanden aus Ruinen“ sei eigentlich das Lied der Kölner am Aschermittwoch. Und dass Peter Maffays Hit „Über sieben Brücken musst Du geh‘n“ (im Original ja ein Ost-Hit von „Karat“) eine besondere Prophezeiung beinhaltete, ist auch klar: „Heute wissen wir längst: Die Brücken müssen alle saniert werden und dafür brauchen wir die Asche.“
Die Erfindung der E-Gitarre als schrilles Fanal gegen das Establishment ist unbestritten. Weniger bekannt ist, dass es zwei musikalische Wege gab, wie Hausbesetzer gegen die Gentrifizierung ankämpften. Rockig und schroff à la „Ton, Steine, Scherben“ mit „Keine Macht für Niemand“ oder die typisch kölsche Version mit „In unserem Veedel“ von den Bläck Fööss.
Am Ende ist klar, die Lösung aller Probleme ist nicht 42, sondern sie kann – mit Vicky Leandros – nur lauten: „Was kann mir schon gescheh’n? Glaub mir, ich liebe das Leben.“ Das Jürgen Becker den Abend – vor der obligatorischen Runde „Kölsch für alle“ – selbst singend beendet, ist konsequent. Den passenden Song dazu hat er auch: „Ich brauche keine Millionen. Ich brauche nur Musik, Musik, Musik, Musik.“ Der perfekte Abschluss für eine Reise in den Soundtrack unseres Lebens.
(Fotos: Gert Fabritius)







