Die „Verhessung der Welt“

Die „Verhessung der Welt“

Man nehme: Einen Hit, übersetze den Text ins Deutsche und füge dem Ganzen die nötige Prise Mut (zum Dialekt) und Musikalität (zwei Gitarren, zwei Stimmen) hinzu. Und fertig ist eines der spannendsten Projekte der deutschen Kleinkunstszene. Tilman Birr und Elis C. Bihn zelebrieren sie, die „Welthits auf Hessisch“. Und der Name ist Programm.

Als gut gekleidete Bänker mit Anzug und Krawatte daherkommend, zeigen sich die beiden in ihrem 130-minütigen Hitfeuerwerk ganz und gar nicht seriös. Manche Verse klingen ins Deutsche transferiert seltsam hohl und inhaltsleer, wirken wie einfache Gedanken, selbst wenn sie im Original von den Simple Minds gesungen werden. Aber im Dialekt bekommt das Ganze plötzlich eine brachial komische Ebene, die trägt. Und Birr und Bihn fühlen sich sichtlich wohl in ihrer Muttersprache.

Genauer gesagt müssten es eigentlich die „Welthits auf Süd-Hessisch“ sein, denn Äppelwoi, Handkäs, Dippcher und Deckelcher und ganz viel „sch“ lassen die Menschen im Rhein-Main-Gebiet eskalieren. Der normale Nordhesse kann damit vielleicht nicht ganz so viel anfangen. Doch wenn er sich dann auf den Text von Birr & Bihn konzentriert, dann muss auch der Hesse lahnaufwärts lachen.

Zwar halten sich die Künstler recht genau an die englischen Textvorlagen von Elvis Presleys „Blue Suede Shoes“ oder Stings „Englishman In New York“. Aber die werden bei ihnen zur braunen „Kunstlederjack‘ und zum „Hessenbub in Berlin“. Man hört Bob Marleys „Isch hab‘ de‘ Wachtmeister erschosse‘, aber net den Typ vom Ordnungsamt“ oder Britney Spears „Schlaach misch, Mädsche, nochema“. Und Enyas „Orinioco Flow“ werden die Konzertbesucher nun wohl auf immer mit „Seeschel fott“ verbinden.

Im Hessischen klingen viele Wörter und Begriffe einfach sehr viel weniger bedrohlich als in anderen Dialekten oder im Hochdeutschen: „Verbreschersche“ oder „Messerstescher“ sind nur zwei Beispiele, Maddin Schneiders „Aschebescher“ ist ohnehin legendär.

Ganz nebenbei erfährt man auch kulturell Wissenswertes: In den 50er-Jahren habe die hessische Sonne ganze Heerscharen von Italienern über die Alpen gelockt. Und da gab es dann den Günter, der kurz vor dem alkoholischen Koma einmal Meat Loaf (oder war es Günter Strack?) kennengelernt hatte. Oder so ähnlich. Darauf ein „O sole mio“!

Natürlich haben auch die beiden Künstler einen Riesenspaß auf der Bühne. Aber sie verbergen ihn gekonnt und tragen sowohl ihre Songs als auch die erklärenden Moderationen mit einem köstlichen Bierernst vor, selbstverständlich muss es „Schlappeseppel“ sein.

Und da das Hessische ohnehin wie ein Singsang klingt, lauscht man gespannt dem „Männerreeche“ der „Wettermädsche“, spannt Rihannas „Reechescherm“ auf, oder lässt sich auf Celine Dions Klassiker „My heart will go on“ ein. Bei Bihn & Birr heißt es natürlich, stilecht von der Flöte unterstützt: „Mei Herz schläscht alls weider“. Ein Glanzpunkt ist die Transformation der von den Kinks besungenen diversen „Lola“ ins Hessische. Die Dame mit den ausgeprägten männlichen Zügen wird kurzerhand zu „Lisbeth“.

Und mit der hessischen Version von „500 Miles“ endete ein Abend, der dem Ziel, der „Verhessung der Welt“ einen großen Schritt nähergekommen ist.

(Fotos: JMS)