Mannizismus als neue Religion?

Mannizismus als neue Religion?

Die Pandemie ist vorbei, die Reihe der Leseshows um seine Romanfigur, Kommissar Bröhmann auch. Was also tun? Dietrich Faber, Kabarettist, Autor, Musiker und Schauspieler hat ein neues Programm geschrieben! Und das ist „positiv“ – in Zeiten wie diesen ein gar nicht so leichtes Unterfangen. In der Herborner KulturScheune zeigte der gebürtige Gießener, dass ihm das vortrefflich gelungen ist.

Seine wortreiche Sprache – auch in oberhessisch (obwohl er nach eigenem Bekunden gar keine Mundart beherrscht) – seine Gestik und vor allem seine Mimik überzeugen. Faber ist auf der Bühne ein wirbelnder Tausendsassa – auf den ersten Blick alleine unterwegs, doch das stimmt nicht. Er tritt alleine auf, bringt aber mehrere Figuren mit, in die er sich blitzartig verwandelt, mit nur wenig Requisiten. Diese haben sich zum Teil aus den sechs Faberschen Kriminalromanen heraus verselbstständigt.

So wie etwa Manni Kreutzer, der vermeintliche Superstar der oberhessischen Country-Musik. Mit breitkrempigem Hut, rollendem „R“ und rollenden Augen steht er da und ist inzwischen zum Stoiker geworden. Oder – so drückt es „Manni“ selbst aus – zum Erfinder des „Mannizismus“. Seine Lebensweisheiten („Das mit dem Hass, das lass‘. Denn egal auf welche Weise ist Hassen einfach Scheiße!“) gipfeln irgendwann im Song „In diesem Lied bin ich meines Glückes Schmied“, in dem dem guten Manni einige Aphorismen und Sprichwörter völlig durcheinander geraten.

Bei Dietrich Fabers Typen-Kabarett trifft der „kleine Mann von der Straße“ auf „Otto Normalverbraucher“ (siehe Fotomontage), die sich darüber beklagen, dass sich ja eh nichts ändert und „die da oben alles bestimmen“. Dabei ist doch eines klar: „Kaum wird man in die Welt geboren, hat man schon verloren.“ In seinen eingestreuten Texten beschäftigt sich der Mittelhesse auch mit der deutschen Befindlichkeit, mit dem Leistungsdruck, der von Beginn an existiert. Frühkindliche Förderung bedeutet folgerichtig für ihn: Fußballinternate für Neugeborene!

Und wenn man auf das Lebensende schaut, dann wird es höchste Zeit für „Hessi“, ebenfalls eine Figur aus den Bröhmann-Krimis, die inzwischen als frisch diplomierte Clownin in den Altersheimen unterwegs ist. Was bleibt da noch vor der Pause? „Kammersänger Guido Flamingo“ muss her, um das Publikum aus dem Saal zu singen.

Frisch gestärkt erfahren die Besucher, was ein Schriftsteller mit Schreibblockade und dazu Bauarbeiten in Nachbars Garten machen kann. Er sucht sich einen Ort, wo er ungestört von Menschen seine Gedanken zu Papier bringen kann. Ein Wellness-Hotel auf Usedom soll es sein. Doch, eine geschwätzige alleinreisende Dame und ein umfangreiches Animationsprogramm verhindern den Erfolg. Eine köstliche Geschichte.

Kann man eigentlich den Klimawandel positiv sehen? Faber kann – aber nur mit Goldglitzer-Jacket und im Schlagermodus. Aber auch der beste Motivationstrainer kann es am Ende nicht mehr richten („Unglück ist eine innere Haltung“). Genauso wenig übrigens wie Karl Lauterbach, den Dietrich Faber recht unvermittelt ins Programm eingreifen lässt. Nicht nur die Stimme, auch der Tonfall mit dem langsamen, betonten und vielen Pausen angereicherten, näselnden Sprechen klingen täuschend echt – eine Reminiszenz des Kabarettisten an seine Anfangszeit im Kult-Duo „FaberhaftGuth“, als Parodien ein wesentlicher Programmbestandteil waren.

Als letztes Beispiel für die Fabersche Schauspielkunst taucht dann noch „Orgel Willi“ aus dem „Vogelsberch“ auf. Der personifiziert schlechte Alleinunterhalter gibt’s dem Publikum mit seinem Hit-Medley so richtig, aber „wolle mer man et üwwertreiwe“, weiß der Willi und spielt die Stücke im langsamst möglichen Takt auf der gefühlten Hammondorgel. Faszinierend: Ein Jeder hat so einen „Willi“ wohl schon mal erlebt, und Fabers Darstellungskunst ist herausragend.

Dass er auch berührend kann, beweist der Gießener dann als Manni Kreutzer am Schluss: Sein Sehnsuchtslied ist berührend, authentisch und schickt die Besucher im sicheren Gefühl nach Hause, dass ein bisschen „Mannizismus“ doch gar nicht so schlecht ist.

 

 

Gert Fabritius