Das Drehbuch bleibt leer

Das Drehbuch bleibt leer

Die Seiten im Drehbuch sind leer. Nur der Ort des Geschehens, ein heruntergekommenes Hotel, und die Charaktere der sieben Akteure stehen fest. Der Rest im Spektakel um Eitelkeiten, Intrigen und Mord bleibt dem freien Spiel und den wortgewandten Einfällen der Darsteller des Ensembles „16plus” in der „KulturScheune” in Herborn überlassen. Und die geraten zu keinem Zeitpunkt im improvisierten Geschehen in der „KuSch” ins Stottern. So ist jeder Abend, an dem das Publikum über die Gestaltung und Aufklärung des Mordes mitbestimmen kann, einzigartig geworden.

Das Personal des Hotels „Zipper“, der Manager Kelvin und der Barkeeper Carsten, sind bemüht, den Aufenthalt ihrer Gäste so angenehm wie möglich zu gestalten – und scheitern in puncto Organisation und Sauberkeit kläglich. Außerdem hat ein unaufgeklärter Mord Flecken auf ihrer Vita hinterlassen. Jenny Goldberg, die Tochter des Hotelbesitzers, soll für Ordnung sorgen. Doch auch sie verbirgt ein dunkles Geheimnis – genau wie die Gäste: ein verstrahlter Yoga-Lehrer, eine blasierte Rothaarige, die zu einem Tattoo-Konvent angereist ist, eine Internet-Expertin und ein Rauschgoldengel, die als Influencerin alle Klischees einer sinnfreien Blondine bedient.

Im mörderischen Spiel – in dem unter anderem Rhabarberstreusel, Pömpel und verschwundene Handtaschen und aufdringliche Waschbären eine Rolle spielen – ist alles erlaubt, um sich mit kuriosen Einfällen, schlagfertigem Witz und liederlichen Gemeinheiten zur Freude des Publikums in Szene zu setzen. Man weiß von Anfang an: Im „Zipper“ ist etwas faul. Für die Darsteller-Riege ist es die ideale Kulisse, um ihre schauspielerischen Talente voll zu entfalten. Drei Morde, drei Täter und drei unterhaltsame Abende stehen dann am Ende auf der Habenseite.

Emilio Ernst, der als Yoga-Jünger eigentlich total entspannt sein müsste, erweist sich als ängstlicher Zeitgenosse, der überall Gespenster sieht. Neben seinem herrlich geisterhaft anmutenden Spiel zeigt sich Jana Pittner als coole rothaarige Gothic-Jüngerin, die sich nicht in die Karten schauen lässt. Und auch bei Christina, gespielt von Rabea Wagner mit einer Mischung aus Hippiemädel und geschäftstüchtiger Google-Angestellten, weiß man nicht, was sie wirklich umtreibt. Miriam Peuser – als die um keinen passenden Spruch verlegene Influencerin Cassidy – setzt mit ihrem Outfit und ihrem spitzzüngigen Tonfall der mörderischen Handlung die Krone auf. Ihr würde man im realen Spiel um Produkt-Placement wohl alles abkaufen.

Die knallharte Geschäftsfrau Jenny Goldberg wird von Janina Katzer mit der Lust am bösartigen Intrigantentum verkörpert, die den stets etwas irritiert und verwirrt wirkenden Hotelangestellten mit herrischer Freude die Leviten liest. Und Chris Groszmann als Carsten und Max Bierbach als Calvin fühlen sich in ihrer Mischung aus Naivität, Unwissenheit und Spitzbübigkeit sichtlich wohl.

Am Ende ist man um die Erkenntnis reicher, dass es nicht mehr als die Lust am freien Fabulieren braucht, um draus ein Theater zu machen, das zu einem erlebnisreichen Genuss wird.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher