Danach gehörte die Bühne jedoch der Deutschen liebstem Russen oder doch Exilrussen, der immer mit dem Blick von außen und seinem markanten Akzent auf die Befindlichkeiten des Landes guckt. Wladimir Wiktorowitsch Kaminer hat etwas schelmisches, jungenhaftes. Es gibt diese Männer, die optisch ewig Jungs bleiben, auch wenn sie längst der Pubertät entwachsen sind. Der Mitfünfziger, vor mehr als zwei Jahrzehnten durch den Roman „Russendisco“ bekannt geworden, hat nach wie vor eine verschmitzte jungenhafte Ausstrahlung, und es ist keine Masche.
Eine Corona-Trilogie wollte er schreiben. Und zwei Teile davon sind auch schon erschienen: „Deutschland raucht auf dem Balkon“ und „Wellenreiter“. Bei der zweibändigen Trilogie ist es bislang geblieben, denn da hat ihm das Weltgeschehen einen Strich durch die Rechnung gemacht. Spaßige Betrachtungen über die Pandemie wirken plötzlich uralt. Ja, man sehnt sich fast nach diesen Zeiten zurück, als noch Virologen die deutschen Talkshows besetzten. Jetzt sitzen da ehemalige Militärs, die die Lage in der Ukraine kommentieren.
„Wie sage ich es meiner Mutter“ heißt das Werk, aus dem Kaminer in Herborn las – wobei: Das stimmte nur bedingt. Denn der Autor hangelte sich nicht von Kapitel zu Kapitel, sondern streute zahlreiche spontane und immer unterhaltsame Anekdoten ein. Er las quasi aus der Hüfte heraus und erzählte zwischendurch auch einfach so, ohne vorgegebenen Text, was oft noch witziger ist.
Seine Fans lieben seine charmante Art. Wie er seine deutschen Texte mit hartem russischen Akzent liest, seine Mimik und seine unnachahmliche Art sich beim Applaus zu verbeugen. Tiefer „Diener“ und immer eine Hand auf dem Herzen. Aus eben diesem Herzen heraus sind seine Texte: schnörkellos, leichtfüßig, höllisch intelligent und absurd komisch. Und der Schriftsteller, Moderator, Kolumnist, Musiker und DJ Wladimir Kaminer erzählt, liest und brilliert dazu.
Es geht schon seit seinem Debutroman „Russendisko“ im Jahr 2000 sehr oft um Alltagssituationen. Auch in seinem neuesten Werk „Wie sage ich es meiner Mutter“ nimmt Kaminer die Zuhörer mit zu sich nach Hause. In seine Wohnung in Berlin, Prenzlauer Berg, zu seiner Familie und zu Freunden. Und auf seinen Balkon, auf dem auch gerne Mutter Shanna sitzt.
Von Sohn Wladimir immer liebevoll Mama genannt. Mit Betonung auf der ersten Silbe, also mit langem a: Maama. Die Russin, mittlerweile über 90 Jahre alt, muss sich tagtäglich den Diskussionen ihrer Enkel, Wladimirs Kindern Sebastian und Nicole, stellen.
Die beiden sind „zwanzig plus“ und wollen Oma belehren, so der Autor. Wie wichtig es ist Lebensmittel zu kaufen und zu essen, auf denen ein Biosiegel ist. Der Enkel will ihr veganes Frühstück schmackhaft machen und sie soll die Biofliegen auf dem Balkon nicht mehr mit einer elektrischen Fliegenklatsche erlegen.
Die Oma bleibt hart, sie liebt Chicken Wings. Und sie schaut nur Nachrichten, die ihr gefallen. Eine heile Nachrichtenwelt, bestehend aus Ballettpremieren, Außerirdischen und Rezepten für Gurkensalat. Sehr schön beschrieben im Kapitel „Die Gurkensalate der Apokalypse“.
Kaminer nimmt alle Themen in sein Programm. Auch außerhalb seiner Familie findet Leben statt. Und was für eines! Darüber lässt sich viel schreiben. Und erzählen: Das macht seine Lesung so rund und nahbar. Er weicht immer wieder vom niedergeschriebenen Text ab und erzählt, witzelt und fabuliert.
So spricht er natürlich auch den Krieg in der Ukraine an. Seine Haltung ist klar. Er ist Pazifist. Da steht ihm auch seine russische, oder besser sowjetische Herkunft, nicht im Weg. Aggressor Putin bekommt satirische Faustschläge.
Und schließt nach einer fulminanten Zugabe mit den Worten: „Auf dass wir uns bald wiedersehen hier in Herborn, gesund und in Zeiten des Friedens.“ Tiefe Verbeugung, die Hand auf dem Herzen.
(Text+Fotos: JMS)