Wenn das Schweigen zur Kunst wird

Wenn das Schweigen zur Kunst wird

Bekannt wurde sie durch Auftritte in der „heute-show“, „Die Anstalt“ und „Extra 3“: Christine Prayon. In der Herborner KulturScheune (KuSch) verkündete die Schauspielerin und Kabarettistin am Donnerstag: „Ich höre auf mit dem Job.“ Das Ding, dessen Namen sie nicht mehr aussprechen möchte, habe sie gesundheitlich und arbeitstechnisch monatelang ausgebremst. „Man kann nichts mehr planen“, erklärt sie und will statt Kabarett jetzt eine Ausbildung als Yoga-Lehrerin machen. Ist ihr verkündeter Bühnenabschied nur ein Marketingstreich? Christine Prayon schweigt, um nach langen Sekunden vollkommener Stille, doch das Wort zu erheben, um der finsteren Dystopie eine Utopie für eine bessere gerechtere Welt entgegenzusetzen.

„Abschiedstour“ hört sich vielmeinend an. „Was soll das Kabarett noch? Wenn alles transparent ist, was willst du dann im Kabarett noch aufklären?“, fragt Prayon, angesichts der Tatsache, dass immer mehr Politiker sich als Clowns versuchen und die Kabarettisten somit überflüssig machen.

Fürs Publikum gibt es bei ihr nichts, worüber es lachen kann. Prayon setzt als sprachgewandte Verkünderin auf große Gefühle, etwa wenn es um die Frage geht, wie wir es mit Zuständen halten, in denen Stuttgart 21 das Maß aller Dinge ist, Neo-Nazi-Morde verharmlost, Banken mit Milliarden vor dem Ruin gerettet werden, während die Kultur auf null gesetzt wird.

„Transformation heißt das Zauberwort unserer Tage. Statt sich für den Frieden einzusetzen, wird für den Krieg gerüstet, und die Reichen legen sich für die kommende Apokalypse Sushi in Dosen an. Eine freie, gleiche Gesellschaft ist nötig, aber nicht möglich“, sagt die Kabarettistin, für die dennoch gilt, dass Aufgeben ein schlechter Berater ist. Immer bissiger wird ihre Bühnenshow im Verlauf des Abends, wenn sie darangeht, „unser kapitalistisches Ausbeutungssystem“ in die Mangel zu nehmen und stattdessen nach Alternativen zum Bestehenden sucht. Schwierig. „Der Kapitalismus ist zwar das Ende der Geschichte. Aber auch wenn er das Hinterletzte ist, was haben wir für Alternativen, wenn der Kommunismus auch nur Scheiße ist?“

Christine Prayon redet über den sich ausbreitenden Faschismus („wir können eigentlich nur über etwas reden, was noch da ist“), lehrt diversen „Diversivikations-JüngerInnen“ ordentlich Mores: „Wird ‚Me Too‘ zum Neidproblem? Darf man noch Rasseweib sagen oder ist das schon rassistisch?“, fragt die emotional aufgeladene „Grökoz“ (Größte Komödiantin aller Zeiten) und begibt sich in eine Welt, die überquillt von realen Absurditäten. „Ist Lüge die Wahrheit? Ist der Himmel die Hölle? Ist Krieg der neue Frieden? Die Flüchtlingskrise steigt. Lassen Sie ihre (blonden) Frauen im Haus, bis die Gefahr beseitigt ist.“ Und wie steigern wir unser Ego? Christine Prayon weiß Rat: „Fahren Sie einen Leichenwagen. Tragen Sie einen Pelz aus dem Fell der Hummeln, geschoren von kleinen Flüchtlingskinderhänden.“

Am Ende ist sich Christine Prayon sicher, dass es für sie irgendwie weitergeht. Dass sie auch als Slam-Poetin eine gute Figur macht, demonstriert sie ganz nebenbei. Von dem sich in stiller Ehrfurcht vor ihr verneigenden Publikum fühlt sie sich bestätigt: „Ich mache ein Avantgarde-Kabarett für die Zukunft, ich rede über das, worüber morgen alle reden.“

Natürlich muss sie auch weiterhin über Vollidioten aller Couleur reden, den die sterben ja nie aus. Also Volldampf voraus für Christine Prayon und ihr Konzept für die Lebensform von morgen: „Mit 90 Prozent weniger Angst, weil es sich nicht lohnt, gegeneinander zu arbeiten.“

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher