Sein oder Nichtsein – das ist die Frage

Sein oder Nichtsein – das ist die Frage

Nicolai Friedrich, Weltmeister der Mentalmagie, ist einfach unbeschreiblich gut. Das hat er auch bei seinem zweiten Auftritt in Herborn bewiesen. Nicht nur das Publikum des „KulturzAUbers“ hielt  so manches Mal vor Spannung die Luft an, es schien so, als täte dies auch der Himmel über dem Gelände an der „KulturScheune“, um das Freiluftprogramm am zweiten Abend der Festival-Reihe nicht zu gefährden.

Wer auf der Bühne Blitze, Donner und andere Effekte erwartet hatte, sah sich womöglich getäuscht. Ein solches Spektakel hat der gebürtige Offenbacher und Vater zweier Kinder gar nicht nötig. Nicolai Friedrich überzeugt durch sich, sein überragendes Können und seine sympathische Ausstrahlung.

Es nutzte wenig, die vorderste Stuhlreihe nur sparsam zu besetzen: Friedrich interagierte mit seinen Gästen charmant, aber unwiderstehlich, und holte einige von ihnen auch von ganz hinten zu sich auf die Bühne.

Sein Zufallsgenerator war schon mal ein in die Menge geworfenes Seil oder ein Ziegelstein, der sich beim Auftreffen als Schwammgummi entpuppte. „KuSch“-Vorsitzender Jörg Michael Simmer hatte zu Beginn vor dem Meister der Magie gewarnt: „Er wird ihre Gedanken auf den Kopf stellen.“ Es kam aber viel schlimmer: Schon mit dem Seiltrick verblüffte er so, dass am Ende keiner mehr wusste: War es nun ein Seil? Oder ein endloses? Oder waren es gar vier?

Friedrich „hypnotisierte“ einen Fünf-Euro-Schein, sodass der sich in Nullkommanix in einen Hunderter verwandelte. Seinem Besitzer, der den Fünfer eigens mit seiner Unterschrift versehen hatte, tröstete er und versprach ihm im Falle des Verlustes einen exakten Gegenwert aus einer mystischen Tüte. Zwischendurch zog Friedrich einen Fünf-Euro-Schein einer Dame aus dem Publikum aus deren Zigarette. Das war aber nicht der Richtige. Sein oder Nichtsein wechselten sich in rascher Folge ab, und am Ende befand sich der Originalschein in einer verschlossenen Erdnussdose.

Der Lockdown hatte für den Magier auch etwas Gutes: Er hatte Zeit, neue Tricks zu entwickeln, etwa den mit einem tanzenden Tuch im Glasballon. Damit ging er am Donnerstagabend durch die Zuschauerreihen, damit jeder ganz genau hinschauen konnte. Es half aber nichts, auch dieses Geheimnis war nicht zu lüften. Wie gut er die mentale Magie, also das „Gedankenlesen“ beherrscht, erfuhr eine Frau am eigenen Leibe: Friedrich schickte sie gedanklich auf eine romantische Reise ihrer Wahl. Das Ergebnis: Er wusste ausnahmslos alles, was sie sich vorgestellt hatte. Vom Ort über ein Bauwerk bis zur Zimmernummer des Hotels. Ihren Ehemann Rudolf beruhigte er anschließend: „Ich war nicht mit ihrer Frau in Limburg … “

Er zeigte einen Trick, den der weltberühmte David Copperfield ihm einst abkaufte, und auch „das verschwundene Lächeln“ der Mona Lisa – ein einzelnes Puzzle-Teilchen unter Hunderten – fand sich mit einem Griff in der Hand von Medium Anja wieder.

Abermals hielt das Publikum die Luft an, als Zuschauerin Isabell ihren Ehemann Thomas anrufen musste: Der Magier konnte die Seitenzahl eines ihm unbekannten Buches nennen, das Thomas am anderen Ende der Leitung umblättern musste.

Dann kam der Höhepunkt der Show: Ein Paar, willkürlich aus dem Publikum ausgewählt, stellte unter Beweis, dass sich Empfindungen und Gedanken von einem auf den anderen berührungslos übertragen lassen. Die Menschen waren begeistert – und das Paar sicher genauso.

Sehr anschaulich philosophierte Friedrich über Ziel und Sinn des Lebens. Er referierte über den Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten, die er mit den Bausteinen des Lebens ausfüllte. Anschließend ließ er mal eben einen Tisch schweben – und dann völlig verschwinden.

Zum Dank für die stehenden Ovationen verriet der Magier noch einen Trick mit Flaschen oder besser: ließ ließ ihn von Digital-Assistentin „Siri“ verraten. Und obwohl alle genau zusahen, hatte ihn doch kein Mensch begriffen. Damit saßen die „KuSch“-Besucher in einer Reihe mit Fachleuten aus aller Welt.  Denn auch die konnten Friedrichs Zauber- und Mentaltricks bisher nicht knacken…
(Von Siegfried Gerdau)

 

 

Gert Fabritius