Und die lauert in der Digitalisierung unseres Lebens, in der das das Internet so schnell ist, dass Tore angezeigt werden, bevor sie gefallen sind. Asoziale Suchmaschinen, wie Google, Facebook & Co. steuern unser Verhalten und unsere vermeintlichen Bedürfnisse: „Googelt man die SPD gibt es sogleich Angebote für Antidpressiva“, so der Kabarettist, der es dabei stets verstand das Publikum und sich mit viel Humor und wundervollem sprachlichen Dönekes an den Windungen und des Kapitalismus zu reiben.
Corona geht und die Wirtschaft wird wieder angekurbelt, obwohl das Virus weiter lauert. Wachstum heißt das Zauberwort, auch wenn wir dabei mit einem finalen fossilen Feuerwerk die Welt verbrennen. Der Kapitalismus basiert auf unendlichem Wachstum. Wie aber soll das auf einem endlichen Planeten funktionieren?
Jürgen Becker ließ in der KuSch nichts anbrennen. Gnadenlos rechnete er mit den Dummbeuteln in Politik und Wirtschaft ab. „Alles wird heute ökonomisiert, alles ist nur noch auf Profit und Gewinn ausgerichtet“, so Becker, der für ein staatliches Einheits-Gesundheitssystem und bezahlbaren Wohnraum plädiert. Alles wird immer mehr privatisiert und somit immer teurer. Immer mehr bleiben dabei auf der Stecke. „Man muss den Mensch wieder als Mensch erkennen und nicht als Kostenfaktor“, wetterte der Kölner Kabarettist, der die wahren Leistungsträger in unserem Land die schlechtbezahlten Pflegekräfte oder ErzieherInnen sieht.
Unsere Welt gerät zunehmend ins Wanken, während für Jürgen Becker die Kölner Stadtverwaltung offenbar noch ein Hort von bräsigen Faulpelzen ist. Ärzte verkaufen für viel Geld nutzlose Anwendungen, wie eine Ozontherapie, und die BWLer sind unter den Allwissenden offenbar die Dümmsten. Wie man die Welt zusammenhält, wenn sie auseinanderfällt – und wie es sich für alle so richtig rechnet – das führte der Kabarettist vor, der im Mantra des permanenten Wirtschaftswachstums und des Raubbaus an unseren Ressourcen die Ursache unserer Probleme sieht.
„Wie kann eine Post-Wachstumsgesellschaft aussehen“, fragt der Moralist Becker, der gegen Weltverbesserer und Gutmenschen nichts einzuwenden hat. „Wir brauchen die Nähe zu den Menschen“ konstatiert Becker, der im Kölner Karneval nichts Verwerfliches sieht. Und mit seiner fiktiven Heiratsanzeige von Adam („Einsamer Typ, ohne sexuelle Erfahrung, laufe beruflich nackt durch den Garten, esse kein Obst“) hat er die Lacher ebenso auf seiner Seite wie bei seiner subtilen Auseinandersetzung mit der katholischen Kirche: „Der Arzt ist wie ein katholischer Priester: Er hört den Patienten an, gibt ihm einen Rat und tastet ihn ab.“
Und so endete der Abend ganz Becker-like statt einer Zugabe mit Kölner Schunkel-Liedern und Kölsch aus Flaschen.
Gert Fabritius
Helmut Blecher
Gert Fabritius ist freier Fotograf und Mitglied unseres Vereins. Der Driedorfer hat seit einigen Jahren die Foto-Dokumentation all unserer Veranstaltungen in der Kulturscheune übernommen und in dieser Zeit mehrere zehntausend Fotos zusammengetragen.
Helmut Blecher ist freier Autor und Fotograf. Der Dillenburger berichtet seit Jahren über das kulturelle Geschehen vornehmlich an Lahn und Dill und hat bereits Auftrittskritiken für zahlreiche Künstler in der KuSch geschrieben.