Kinder und Erwachsene fühlen sich seit Generationen von den emotional packenden und zum Nachdenken wie zum Lachen anregenden Geschichten von Hans Christian Andersen gleichermaßen angezogen.
Unter der Regie von Franz Josef Neunzerling haben sich Herborns Heimatspieler seines Märchenklassikers „Die kleine Meerjungfrau“ angenommen, um es in der „KulturScheune“ unter dem Titel „Das Mädchen aus dem Meer“ vor aufwendiger Kulisse und in fantasievollen Kostümen neu inszeniert auf die Bühne zu bringen.
Das Unterfangen hat sich in jedem Fall gelohnt. Am Premierenabend ließ sich das Publikum in der voll besetzten „KulturScheune“ vom Zauber des von Franz Josef Neunzerling bearbeiteten und in eine eigene Spielfassung gebrachen Märchenspiels mitreißen und sich im ersten Teil sogar in eine fantastische Unterwasserwelt herunterziehen – in eine von Holger Heix, Bernd Winnemann, Michael Krüger und Team handgemalte Kulisse.
Zum Inhalt: Dort im Meer, wo das Wasser am tiefsten ist, lebt die Meerjungfrau Undine mit ihrer Schwester Salmakis. Behütet und erzogen wird sie von ihrer Großmutter, die Undines Drang, endlich die Welt der Menschen, die auf „Stelzen“ gehen, kennenzulernen, bremsen muss. Obwohl sie erst an ihrem 16. Geburtstag die Erlaubnis bekommt, ans Ufer zu schwimmen, wagt sie dennoch einen Blick in die ihr fremde Welt. Dort erblickt sie einen Prinzen und verliebt sich unsterblich in ihn.
Das Schicksal nimmt seinen Lauf. Undine wendet sich an die Meerhexe Skylla, die ihren Traum, ein Mensch zu werden, erfüllt. Doch zu welchem Preis? Sie muss ihr Leben lassen, wenn sie die Liebe des Prinzen nicht gewinnt, und sie verliert die Kontrolle über ihr Lachen und Weinen. Mit einer kleinen tollpatschigen Schildkröte geht sie an Land, um für immer ihre Zuflucht am Meeresgrund hinter sich zu lassen. Im zweiten Teil des Märchenspiels bildet das Prinzenschloss die Kulisse der Handlung, die mit Salon und Küche zwar nicht mehr so fantastisch wie die der Unterwasserwelt wirkt, doch dafür geht es turbulenter und temporeicher zu. Als Intriganten, die nur auf ihren Vorteil bedacht sind, entpuppen sich des Prinzen Schwiegervater Iapetos sowie der Hofmarschall Thorvald Thorhallson und sein Adept Kleobiton. Und auch die kühl und berechnend auftretende Melia, die Braut des Prinzen, erweist sich nicht als Sympathieträgerin.
Fürs Schrille, Herzhafte, Zupackende und Zauberhafte, sind die Köchin Theresa Biancolelli, der Kutscher Gianni und das clowneske Faktotum Sebastian de Morra zuständig. Letzterer kann Hammer und Schaufel aus einer Tüte zaubern und kuriose Reime zum Besten geben.
Undine, die das Herz des Prinzen gewinnt, und von ihm in sein Schloss eingeladen wird, muss erleben, wie der Hofstaat sie anfeindet und ihr das Leben schwer macht. Als der Prinz trotz seines Wissens um die Liebe zu Undine die Prinzessin Melia heiratet, müsste sie sich nach Andersens Geschichte am Ende in Schaum auflösen. Dabei stirbt sie jedoch nicht, sondern verwandelt sich in einen Luftgeist. In der Herborner Version gewinnt sie das Leben durch den Glauben an die Liebe, die sie mit anderen Menschen teilt.
Zwei Stunden lang konnte sich das große und kleine Publikum an einem Märchenspiel erfreuen, das wohl auch dem Schöpfer der kleinen Seejungfrau, Hans Christian Andersen, gefallen hätte. Die straffe Regie von Franz Josef Neunzerling, die Kostüme von Adelheid Simmer, die Technik von Fabio Nell und Oliver Thielmann und die Maske von Isa Hortien, Katharina Giese und ihrem Team garantierten allen Bühnenakteuren einen gelungenen Auftritt.
Josi Schneider als Undine gibt sich als Nixe mit Flossen ebenso liebenswürdig wie als Mensch auf zwei Beinen. Tillmann Rusch glänzt als kunterbunter Hofnarr Sebastian de Morra, und Jörg Michael Simmer und Livia Warch geben ein sich wenig um Etikette scherendes Schlosspersonal ab, an dem auch Prinzessin Melia, gespielt von Jana Pittner, nicht vorbeikommt.
Als sanftmütiger Prinz Inachos hat Ken Krüger einen starken Auftritt. Sabine Rühl als Undines Großmutter, Elena Ziegler als Salmakis, Svenja Kugler als herrlich böse Meerhexe Skylla, die flinke dichtende Schildkröte Kurma, dargestellt von Julius Wolf, und last but not least die Intriganten, mit Verve in Szene gesetzt von David Löll, Linus Göbel und Dominik Visca, runden die in jeder Hinsicht bemerkenswerte Aufführung ab.
(Fotos: Gert Fabritius)
Gert Fabritius
Helmut Blecher
Gert Fabritius ist freier Fotograf und Mitglied unseres Vereins. Der Driedorfer hat seit einigen Jahren die Foto-Dokumentation all unserer Veranstaltungen in der Kulturscheune übernommen und in dieser Zeit mehrere zehntausend Fotos zusammengetragen.
Helmut Blecher ist freier Autor und Fotograf. Der Dillenburger berichtet seit Jahren über das kulturelle Geschehen vornehmlich an Lahn und Dill und hat bereits Auftrittskritiken für zahlreiche Künstler in der KuSch geschrieben.