Jede Sekunde Theatergenuss pur

Jede Sekunde Theatergenuss pur

Nachdem die Herborner Kusch-Youngsters im Vorjahr mit „Die zwölf Geschworenen“ überzeugt haben, begeben sie sich diesmal mit „Der nackte Wahnsinn“ ins Komödienfach. In dem Stück von Michael Frayn spielt das exzellente Ensemble der Kulturscheune (Kusch) eine völlig aus der Rolle gefallene Theatertruppe.

Kurz vor der Premiere herrscht hinter der Bühne das pure Chaos. Der Regisseur ist mit seinen Nerven am Ende und die Mitwirkenden sind verzweifelt, weil alles schief läuft. Bei der Premiere am Freitagabend hatte jedenfalls das Publikum seinen Heidenspaß am Tür-auf-Tür-zu-Reigen.

Tempo und Timing stimmen bei der Backstage-Komödie, in der die Youngsters ihre ganze Spielfreude entfalten konnten – insbesondere dann, wenn man ein mäßig begabtes Ensemble darstellen kann, das sich auf der nächtlichen Generalprobe mit den Tücken des Probenalltags herumschlagen muss.

Regisseur David Löll, Gruppenleiterin Anna Julia Cunz und das gesamte Team hinter den Kulissen haben ganze Arbeit geleistet, um die Darstellerriege in ein turbulentes Bühnenchaos zu treiben.

Lloyd Dallas, Regisseur des Stücks „Nackte Tatsachen“, sieht sich bei der Generalprobe mit einer zweitklassigen Theatertruppe mit vergessenen Texten, falschen Requisiten, klemmenden Türen und persönlichen Animositäten der Schauspieler konfrontiert. Die kurzsichtige, mit optischen Reizen nicht geizende Brooke Ashton sucht ständig ihre Kontaktlinsen, Garry Lejeune sucht seinen Verstand, der Herzensbrecher Frederick Dallas kämpft mit seiner Balance und den richtigen Worten, und die fußlahme, ständig betrunken Sally Mowbray ist als Einbrecherin eine Niete. Die hinter den Kulissen arbeitenden Tim Allgood und Poppy Taylor sind dem genervten Regisseur keine wirkliche Hilfe.

Nachdem sich die Truppe bei der Generalprobe noch tapfer mit den Tücken des Probengeschehens auseinandersetzt, bricht sich im zweiten Akt ein nicht enden wollender Albtraum freie Bahn. Auf der um 180 Grad gedrehten Bühne gewinnen sorgsam verborgene betrügerische Affären, kleinliche Intrigen und handfeste Attacken die Oberhand.

Dennoch versuchen die bedauernswerten Akteure bis zum komplett desolaten Showdown im dritten Akt mit einem Höchstmaß an Improvisation, Fantasie und Durchhaltevermögen für ihr Publikum die Contenance zu bewahren.

Den Youngsters Lisa Kring, Nicolas Wogenstahl, Regina Marzen, Louis Peter, Laura Dörr, Elena Ziegler, Victoria Groos, Michael Perry, Denise Wydra und Michel Dahlhaus merkte man die Freude an, an diesem wahnsinnig tollen Bühnenritt beteiligt zu sein. Sie spielten wie entfesselt. Agierend stürzten sich alle kopfüber in eine Handlung, in der der entfesselte Irrsinn kuriose Blüten treibt und zur Gänze die Regie übernimmt.

Dank einer hochprofessionell wirkenden Aufführung, in der sich alle Akteure in die ihnen zugedachten Rollen perfekt einfügten, dürfte dieser „Nackte Wahnsinn“ wohl als Meisterleistung in die Annalen der Kusch-Geschichte eingehen. Es war ein langer Theaterabend, der allerdings jede Sekunde Genuss pur war.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher