Wer sich selbst eine Grube gräbt

Wer sich selbst eine Grube gräbt

Wer die Frühzeit des deutschen Fernsehens miterleben durfte, kann an der Firma und Familie „Hesselbach“ nicht vorbei. Heute längst Kult – auch für Jüngere –, brachte der in Bad Homburg geborene Autor, Moderator, Regisseur und Schauspieler Jo van Nelsen in der Herborner „KulturScheune“ (KuSch) eine Episode zu Gehör, in der es nicht nur um Kunst und den Umgang mit der lieben Verwandtschaft ging, sondern auch darum, wie man sich sprichwörtlich selbst eine Grube gräbt.

Für das Publikum war der Spaß an der Lesung in hessischer Mundart groß und für den Kulturallrounder etwas Besonderes, in den Rollen von „Babba“ und „Mamma“ Hesselbach bis hin zur Nichte Erna und Arthur Münzenberg zu brillieren. In der „Der röhrende Hirsch“ wird geschildert, was passiert, wenn „Babba“ Hesselbach der Nichte Erna eine bronzene Hirschstatue schenkt. Nicht ahnend, dass die Figur, die die „Mamma“ Hesselbach einst von einem Verehrer zur Hochzeit bekam, eigentlich viel Geld wert ist.

Wolf Schmidt, der seine Lieblingsepisoden in Buchformat gebracht hat, eröffnet Jo van Nelsen genügend Raum, um sich genüsslich schwelgend den skurrilen Verwicklungen rund um den kitschigen Hirsch zu widmen, über dessen Wert sich ein heftiger Streit zwischen den Eheleuten Hesselbach entwickelt. Als auch noch der schwäbische Buchhalter Münzenberger als vermeintlicher Kunstexperte befragt wird und den Metallwert des Hirschs auf sieben Mark schätzt, steht für den „Babba“ fest: Das Ding muss weg.

Nachdem Jo van Nelsen dank seiner exzellenten Vortragskunst die „Familie Hesselbach“ – nebst den Kindern Heidi und Peter – zu höchst agil wirkenden Figuren werden lässt, läuft er mit der Darstellung der Person Erna, die sich in einer äußerst zähen Sprechweise ergeht, zur Höchstform auf: Der Mensch, der zwischen Erwarten und Verlangen, zwischen kleinbürgerlichem Glücksgefühl und dem Recht auf sein Recht zu bestehen, selbst wenn es nur um die kleinste Kleinigkeit geht, hier findet er seine Entsprechung.

Van Nelsen bewegt sich im Panoptikum von Wolf Schmidts zeitlosen Geschichten, die angefüllt sind mit köstlichen Spitzfindigkeiten, verbunden mit seinem tief empfundenen Bekenntnis zur Humanität.

So kulminiert das Notgeschenk zur Hochzeit der eher unbeliebten Nichte Erna, zu einem Streitobjekt sondergleichen im Hause Hesselbach. Als man den gleichen Hirsch Wochen später im Schaufenster sieht und dieser 500 Mark kosten soll, treiben die Hesselbachs, die nacheinander Interesse an dem Stück zeigen, ungewollt den Preis in astronomische Höhen.

Die „Mamma“, die sich darüber außerordentlich aufregt, versucht daraufhin, der Erna den Hirsch wieder abzuschwatzen. Als Ersatz bietet sie ihr ein zwölfteiliges Kaffeeservice an, weil sie doch so fürs Wirtschaftliche ist. Am Ende ist der Traum vom großen Kunstwerk ausgeträumt.

„Ei Kall!“, entfuhr es Jo van Nelsen mehrfach, der dabei seine Qualitäten als Vortragskünstler zur Freude des Publikums unter Beweis stellen konnte. Ihm dabei zuzuhören und zuzusehen, wie er nacheinander und durcheinander alle und jeden spielt, entpuppte sich als wunderbarer Hörfilm. Das Hesselbach’sche Universum mit all seinen skurrilen Alltagsgeschichten zu entdecken, lohnt sich immer wieder aufs Neue.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher