Parforceritt durch die Weiten der menschlichen Seele

Parforceritt durch die Weiten der menschlichen Seele

„Wände streichen. Segel setzen.“ Mit ihrem gleichnamigen Programm ist Luise Kinseher in der Herborner „Kulturscheune“ zu Gast gewesen. Der Auftritt der niederbayerischen Kabarettistin geriet zu einem zweistündigen Parforceritt durch die Weiten der menschlichen Seele. Mit schier überbordender Fantasie offerierte sie dem begeisterten Publikum eine Weltsicht, die mit einem Riss im Parkett in ihrer Wohnung begann und in einem Schwarzen Loch in unserer Galaxis endete.

Als schwerreiche Witwe Helga auf der „Aida“ zählt sie auf, was Gatte Heinz ihr alles so hinterlassen hat – darunter ein Mietshaus in der Münchner Hollestraße, aus dem Kinseher ausziehen soll. Mit dem „Immobilien Hai“ im Clinch, erzählt sie in der heruntergekommenen Wohnung, wie alles mit einem Loch im Fußboden begonnen hat. Mittlerweile ist in ihrem Wohnzimmer ein Biotop mit Seerosenteich entstanden. Vermeintliche Spezialisten arbeiten sich an ihrem Problem ab, während echte Handwerke nicht zu bekommen sind.

Dermaßen subtil verpackt, handelt die Kabarettistin gleich den Klimawandel mit ab und fährt neue Elemente in ihrem Figuren-Panoptikum auf – wie einen Anwalt, der nachhaltigen Champagner bevorzugt, und schlaue Kita-Kinder, die den Alten zeigen, wo es lang geht. Da kommt man schon ins Grübeln, hinterfragt den Zustand einer gespaltenen Gesellschaft, in der allerdings alle gleich blöd sind. Kinseher wird nostalgisch und denkt an die Zeit, als die CSU noch ein „mehrheitsfähiger Altherrenverein“ war, dem heute das „personifizierte Testosteron-Geschwür aus Franken“ vorsteht. Und sie denkt an ihren Vater, den sie mit einem schwarzen Loch vergleicht, denn auch seine Existenz war nur als Randerscheinung wahrnehmbar. Doch weil ihre Mutter die großen weißen Unterhosen gebügelt hat, musste es einen Vater gegeben haben.

Wie geht es also mit der Menschheit weiter? Kinseher hat ihre eigene Meinung: Wenn unnützes Wissen den Verstand blockiert, der im „Enddarm der Evolution verkümmert“, dann fragt man sich, was von uns übrigbleibt. „Plastiktüten?“

Als „schlamperte“, betrunkene „Mary from Bavary“ hat Kinseher das Waldbaden als Ersatz für ihre Reisen nach Mallorca entdeckt, wo sie mit ihren Freundinnen so wild feierte, dass sich dagegen das Oktoberfest wie ein veganer Kindergeburtstag ausnimmt. Den Wald, in dem man Bäume umarmen kann, weiß sei als Vogelliebhaberin zu schätzen – kannte sie doch zuvor nur Schnapsdrosseln, Reiher und Schluckspechte. Und mit ihrer Neuinterpretation des Märchens von Frau Holle, die sich als autonome Feministin entpuppt, erweist sich Luise Kinseher in puncto Anekdoten und schrillen Gags als Meisterin ihres Fachs.

Am Ende landet sie wieder als Witwe Helga auf dem Kreuzfahrtschiff, wo sie von ihrem verblichenen Heinz durch das Geschrei einer Möwe Antwort auf die Schlüsselfrage erhält: „War das Loch schon immer da?“ Die Antwort: In einem Schließfach in einer Schweizer Bank liegt das 20 Jahre alte Gutachten über das Haus in der Hollestraße, in dem der Riss im Parkett dokumentiert ist.

Doch zuvor zeigt „Mary from Bavary“, dass sie auch die Kunst der Koloratur beherrscht – als Sängerin von Seemanns-Schlagern und als Operndiva. Alles in allem ein wunderbarer Abend, der mit zwei Zugaben, darunter ein Duett mit Bühnentechniker Simon Ernst, endete.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher