Die Realität ist nicht zu toppen

Die Realität ist nicht zu toppen

„Jeden Tag die Realität toppen zu müssen, das ist ganz schön viel Arbeit“, sagte Urban Priol. Genau das hat der Kabarettist in Herborn aber fast drei Stunden lang getan. Bislang hatte der Bayer aus Aschaffenburg noch in der Sammlung der besten deutschen Kabarettisten, die der „KulturScheune“ ihre Aufwartung machten, gefehlt. Jetzt war es so weit – und das vor ausverkauftem Haus.

„Im Fluss. Täglich quellfrisch, immer aktuell“ – so hat Priol sein neues Programm betitelt, in dem er genussvoll in die Abgründe und Absurditäten des politischen Geschehens schaut. Sein Blick auf die Landtagswahl in Bayern bescherte dem Publikum etwa die Erkenntnis, dass für die AfD die CDU zu links ist, während die wiederum während der Pandemie ein strenges Regiment führte.

„Wenn ich mit meiner Partnerin spazieren gehen wollte, musste ich sie im Kofferraum versteckt über die Grenze nach Hessen schmuggeln“, so der Kabarettist, dem wie gewohnt die Haare zu Berge standen. Zum Beispiel, als er über den bayerischen Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger sprach, der sich seiner Meinung nach höchstens auf das Aufstellen von Maibäumen versteht.

Der quirlige, sich ständig in Bewegung befindliche Kabarettist redete auch Tacheles über die Angstmache, die zu einer grassierenden Seuche geworden sei. Man fürchtet sich vor dem Heizungsgesetz, das uns buchstäblich die Energie raube. Er habe keine Angst vor einem russischen Überfall in Deutschland. „Was wollen die Russen denn bei uns? Im Ruhrgebiet ist nichts mehr zu holen und über die maroden Talbrücken schafft es eh kein Panzer.“

Priol grollte und spottete über die deutsche Politik der letzten Jahre oder lästerte lustvoll über das politische Personal, das er wie Friedrich Merz oder Karl Lauterbach originalgetreu parodierte. „Nur Olaf Scholz kann man nicht parodieren, den muss man performen können,“ befand der Kabarettist, der an einer SPD ebenso wenig ein gutes Haar lässt, wie an der sich in neuen Parteifarben präsentierenden CDU und einer FDP. Sie verstehe nicht, dass man mit abgefahrenen Reifen sein Profil nicht schärfen könne.

Die Liste der Themen, die es an dem Abend in Herborn zu beackern gilt, ist lang. Da sei Gehirnmasse gefragt, insbesondere die der Politiker, sagt der Bayer. Sei es beim Zusammenwirken von Klimaschutz und Wirtschaft („Das ist nah dran an einer bipolaren Störung.“) oder beim Tempolimit , das für Verkehrsminister „Wirsing“ nicht geht, weil wir dafür nicht genügend Schilder haben.

Urban Priol ist in der Lage, der schönen neuen Welt ein strahlendes Lächeln ins Gesicht zu zaubern. Alexa, Instagram und Facebook seien eine Hilfe, um dem digitalen Blödsinn willig Folge zu leisten. Nur die Frage, wie man richtig gendere, lässt den Kabarettisten ratlos zurück: „Wie ist das bei Schimpfwörtern wie Depp, Trottel oder Blödmann oder sind die Möhren die weibliche Form von Mohr?“

Letztlich ist sowieso alles Pille-Palle. „Die Demokratie ist keine Party, sondern echte Sisyphusarbeit und am Ende regiert doch nur Geld die Welt. Und wem kann man noch vertrauen?“ Immerhin: Priol hat es in der „KuSch“ vermocht, die Leute durch sein Programm zum Nachdenken zu bringen und dadurch die Dinge zum Guten zu verändern.

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher