Eine ganz spezielle „Lesung“

Eine ganz spezielle „Lesung“
Dicke Bretter aus feinstem Humor und bitterböser Komik bohrten jetzt die „Dollbohrer“ Henni Nachtsheim und Rick Kavanian, begleitet von ihrem Tastenzampano Martin Johnson, auf der Bühne des „KulturzAUbers“ in der Herborner Au. Diesmal war das Open-Air-Gelände neben der „KulturScheune“ prall gefüllt und voller praller Heldengeschichten, mitten aus dem Leben gegriffen, war auch die etwas andere Show mit Musik.
Stets haarscharf am Rande des Wahnsinns agierend, setzte das in Herborn lang erwartet Duo Henni Nachtsheim (die eine Hälfte von „Badesalz“) und Rick Kavanian in Form einer szenischen Lesung den wahren Helden unserer Zeit ein Denkmal. Mit von der Partie war auch ihr großartiger musikalischer „Generaldirektor“, der schwäbische Pianist Martin Johnson aus Stuttgart, der nicht nur mit seinem virtuosen Spiel glänzte, sondern auch mit Worten an der Vorstellungsparade kurioser Figuren beteiligt war.
Bevor das seit 2013 bestehende Trio seinen glorifizierten Helden wie Putzfrauen oder Pornodarstellern eine Bühne bot, feierte Nachtsheim den Helden seiner Kindheit: den Neu-Isenberger Kioskbesitzer Kurt Veith, der extra für ihn die von ihm so heiß begehrten schwarz-roten Fruchtgummi-Teufel parat hielt.
Weniger fruchtig, dafür gefüllt mit Leuten, die mächtig einen an der Waffel haben, waren die folgenden Kurzgeschichten: In „Die Beichte“ wird die Putzfrau Ilse Bachman beim Reinigen des Beichtstuhls plötzlich dazu genötigt, einem Auftragskiller die Beichte abzunehmen. Im „Medienbereich“ spielt die nächste Szene: Im einzigen Studio von Lokalsender „Dietzenbach-TV“ ist bei „Schwatz mit Batz“ das Pornodarstellerpaar Betty und Marco zu Gast. Ohne Umschweife parlieren sie über ihre Rollen in so künstlerisch betitelten Filmen wie „Drei Schwengel für Charly“.
Vor allem Rick Kavanian, bekannt aus der legendären „Bullyparade“ mit Michael „Bully“ Herbig und Christian Tramitz sowie als Synchronsprecher, glänzte mit seiner Fähigkeit, fliegend zwischen Stimmlagen und Dialekten wechseln zu können, etwa als eindeutig niederländische Eule, als sächselndes Hausierer-Opfer oder Klempner Kemal.
Der schrille Mix aus Dialekten und ausländisch klingendem Deutsch, den Nachtsheim und Kavanian vollzogen, wurde in „Die 1000 Talente von Willi B.“ von Martin Johnson unterbrochen: Dabei ließ er einen Altenheimbewohner am Klavier nicht nur die Hits von Udo Jürgens klimpern, sondern auch noch die ganze Musikgeschichte Revue passieren, ehe die Nummer mit heißen Funk-Rhythmen im Duett mit Nachtsheim am Saxofon ausklang.
In „Moby und Dick“ hat ein einsamer Schleusenwärter eine wundersame Begegnung mit einer französischen Meerjungfrau. Die ist auf Wörter fixiert, die mit „H“ beginnen, obwohl sie das „H“ nicht aussprechen kann – sehr zur „Er’eiterung“ des Publikums in „‚erborn“.
Als „Dollbohrer“ hatten es Nachtsheim und Kavanian einfach perfekt drauf, jenen Menschen, die nicht im Mittelpunkt stehen, eine Bühne zu bieten. Immer schriller und verrückter wurde im Verlauf des Abends ihre Heldenrevue, in der Batman zum Vorwerk-Vertreter wird, der es versteht, außer Staubsaugern noch die unsinnigsten Artikel an die Leute zu bringen.
Und in „Haferbrei“ gerieten zwei Sanitärfacharbeiter in einem Tonstudio ins Casting für eine „Seitenbacher“-Werbung. Die endete mit einem Lied, in das sich das ganze Publikum einklinkte: „Wer braucht schon wirklich Haferbrei? Schmeckt wie Pappe, verklebt die Klappe, ist komplett aromafrei.“

 

 

Gert Fabritius

Helmut Blecher