Umjubelte Deutschland-Premiere

Umjubelte Deutschland-Premiere

Um es vorwegzunehmen: Nein, „Albany“ spielt im neuen Mundstuhl-Programm keine Rolle mehr. Dafür aber malträtieren Lars Niedereichholz und Ande Werner die Ohren ihres Publikums vor der Show und in der Pause mit Panflöten-Popsongs in Dauerschleife. Warum genau? Mundstuhl-Humor!

So auch bei der Deutschland-Premiere des brandneuen Programms „Kann Spuren von Nüssen enthalten“ in der KulturScheune Herborn, das das Duo vorher nur unter Pseudonym in kleinen Clubs im süddeutschen Raum getestet hatte. Und so war dann auch Lars‘ Begrüßung („Wir testen das jetzt in Herborn und dann geht’s in die richtigen Städte“) irgendwie auch nicht nur Show.

Ausgestattet mit diversen Spickzetteln absolvierten die beiden Brachialkomiker eine Premiere, die von Beginn an klarmachte, was die Fans (und davon waren in der ausverkauften KuSch zahlreiche vorhanden) in der neuen Show erwarten wird: Ein Wiedersehen mit vielen alten Bekannten und eine perfekt kultivierte politische Unkorrektheit, die seit nunmehr 25 Jahren den Mundstuhl-Humor und -Erfolg ausmacht. Sie streiten sich, brüllen sich an und lieben sich irgendwo doch. Im Zeitalter von „metoo“, Veganismus und kultureller Aneignung schreiben die beiden natürlich Songs über „Downies“ oder eine „Ode ans Fleisch“.

Peggy und Sandy, zwei junge Frauen aus Zeulenroda, tauchen auch wieder auf. Nur eine von vielen Rollen, in denen Mundstuhl im Verlauf des Abends schlüpfen. Nicht immer jugendfrei, aber dann doch irgendwie ein Abbild der Zeit, spiegeln die Charaktere doch genau das wider, was viele Wessis über Ossis denken: Rechts angehaucht, arbeitslos, Hartz-IV-Dauerempfänger und Sex als Dauerthema. Das alles natürlich im breitesten Sächsisch. Da wird kein Klischee ausgelassen.

Und wenn dann einer mal einen Hänger hat, dann wird improvisiert und das Publikum einbezogen. Ob als selbstverliebte Friedensaktivisten Torben und Malte von der Initiative »No Pressure« (kein Druck) oder als alternde Illusionisten Sickroy und Fried – da steppt der Bär und das Huhn wird herbeigezaubert. Trash-Magie vom Feinsten.

Dass auch der „Grillschorsch“ und der Aggro-Andi als bekennender Fan des „frittierten Snickers“ wieder auftauchen und ihre Sicht der Dinge mit dem Publikum teilen, versteht sich von selbst. Wie auch die beiden „Kanaken“ Dragan und Alder, mit denen Mundstuhl vor einem Vierteljahrhundert (!) ihren Durchbruch hatten. Natürlich wie immer „krass und korrekt“.

Überzeichnete Kunstfiguren, damit sind Lars und Ande erfolgreich. Nur sie schaffen es, Männer und Frauen in wechselnden Rollen bei einem Song über häusliche Gewalt mitsingen zu lassen. Unkorrekt? Ja – aber mit Augenzwinkern.

Und sollte jemand das Programm als sexistisch oder geschmacklos empfunden haben, dem sei geraten, das ganze Theater nicht zu ernst zu nehmen. Die beiden Künstler jedenfalls tun das auch nicht immer. Und feinsinniges politisches oder gesellschaftliches Kabarett hatte sowieso niemand erwartet. Oder haben Mundstuhl doch die Gesellschaftskritik für sich entdeckt? Eher nicht – und wenn dann ist sie gut getarnt. Vielleicht unter dem Zaubertuch von Sickroy & Fried…

 

 

Gert Fabritius

Jörg Michael Simmer