Gar mancher KuSch-Besucher wusste nicht, auf was er sich da eingelassen hatte. Doch nach 120 Minuten zwischen sprachlicher Virtuosität und philosophischem Rundumschlag hatte Philipp Scharrenberg viele neue Fans gewonnen.
„Germanistik ist heilbar“ hatte der Deutsche Kabarettmeister 2013/2014 und zweifache Deutsche Meister im Poetryslam sein Programm genannt und startete prompt mit einem gleichnamigen Rap-Titel in den Abend. Seine Ansätze sind kühn und spannend, etwa wenn der Bewahrer der Buch-Kultur („Ein handbetriebener Reader mit Scrollfunktion“) ins Jahr 2070 vorausschaut. Dann unterhalten sich auf der Parkbank zwei Senioren mit Migrationshintergund über das Revival des gedruckten Buches. Und statt „korrekt yolo“ ist plötzlich „carpe diem“ wieder en vogue. Gänzlich unrealistisch?
Scharrenberg blickt sich um, poltert sprachlich gewitzt gegen fette Kinder und dumme Eltern („RTLtern - ist Erziehung denn so schwer?“), um sich dann – als bekennender Hörspielfreak, der dort einen Teil seiner Mediensozialisation erfahren hat – gegen den Konformismus zu wenden. Benjamin Blümchen findet er ganz schlimm und hat dagegen die Geschichte von Lino Looser und seinen Eltern Ludwig und Lilly im Angebot.
Philipp Scharrenberg ist froh, dass er heute nicht mehr aufwachsen muss, denn alles und jeder wird konformisiert. „Individuell ist das neue authentisch, aber entfalte dich bitte nur im Rahmen!“ Und eines ist für ihn klar: „Style ist geil - aber noch lange kein guter Stil.“
Rollenspiele – auch so ein Ding, das den Künstler begeistert. Und Scharrenberg wäre nicht der Poet, der er ist, wenn er nicht die Geschichte von Mork dem Ork erfunden hätte. Das Publikum kann die Geschichte mitbestimmen, und trotzdem tauchen „Nathan der Weise“ und „Harry Potter“ genauso auf wie der „Herr der Ringe“, Richard Wagner und – unvermeidlich – US-Präsident Donald Trump.
Philipp Scharrenberg ist vielseitig und schau auch über den Tellerrand hinaus, sogar sprichwörtlich denn er weiß: „Fast Food ist nur fast food!“ Unsere Gesellschaft verehrt jedoch leider „das schnelle Mal als heiligen Gral“.
Die ganz hohe Kunst der Germanistik dann im zweiten Teil des Abends. Etwa als er die Sekundärliteratur zu einem selbstgeschriebenen Gedicht („Staub der Sterne – Raum der Ferne“) gleich selbst verfasste und damit den Zeilenmüll der Wissenschafts-Elfenbeintürme aufs Korn nahm. Fast schon philosophisch seine Frage: „Wird ein Stern sich je gebärden wie die Menschen hier auf Erden?“
Großes Kino auch sein Liebeslied „Setzen Ex!“ Denn als Sprachpurist ist eine wichtige Frage für ihn: „Kann denn Liebe Synthax sein?“ Und, na logo: „Wie sollte ich mit einer Frau zusammensein, wenn sie zusammen sein getrennt schreibt?“
Fußgänger sind für Philipp Scharrenberg die Veganer der Straße und Nordic Walking ist wie Radfahren mit Stützrad. Und überhaupt: Mit Einhorn-Glitzer wird alles gut – nur zu welchem Preis? Um die Lage der Nation steht es nicht zum Besten, das weiß auch der Künstler. Darauf ein Toffifee – aber wie ist man das eigentlich korrekt und was genau hat das eigentlich mit der Grundsatzfrage der Demokratie zu tun?
Die Zuschauer in Scharrenbergs Programm lernen auf jeden Fall eine Menge dazu – und wenn das nicht der Fall ist, dann werden sie einfach verdammt gut unterhalten. Und das ist ja auch schon etwas.
(Fotos: Gert Fabritius)
KulturScheune Herborn - Herborner Heimatspiele e.V. • Austraße 87 • 35745 Herborn